Blutskinder
entlassen zu werden. Er war nach wie vor im Garten beschäftigt, den außer der Polizei niemand betreten durfte.
»Ja?« Robert gähnte. Er fragte sich, wie er sich auf der Rückfahrt nach London wach halten sollte. Rubys Kopf lag auf seinen Knien.
»Es gibt etwas, das ich dir sagen sollte.« Auch Louisa war die Erschöpfung deutlich anzumerken. Ihre Augen wirkten trübe, und ihr Haar hatte seinen natürlichen Schimmer verloren. Vor Schlafmangel fröstelnd hatte sie sich Roberts Jacke übergehängt. Sie starrte über seine Schulter hinweg; offensichtlich suchte sie die richtigen Worte.
Zwei Polizisten mit weißen Schutzanzügen, Mundschutz und Handschuhen gingen an ihnen vorbei durchs Zimmer. Sie trugen einen Metallkasten von der Größe eines kleinen Koffers. Ihre Augen waren ausdruckslos.
Der Kasten, unter dessen Deckel ein Zipfel Klarsichtfolie hervorsah, trug die Aufschrift »Polizeieigentum«. DS Lumley folgte den beiden Beamten. Wenige Minuten später fuhr ein Polizeiwagen mit Blaulicht, doch ohne Martinshorn davon. DS Lumley trat wieder ins Haus und wandte sich an Robert.
»Sie können jetzt gehen, aber halten Sie sich in den nächsten Tagen bitte für weitere Aussagen zur Verfügung.« Der Superintendent wirkte mitgenommen, sein Gesicht unter dem grauen Haar zeigte tiefe Furchen. Dreizehn lange Jahre …
Bevor Robert zur Tür ging, fragte er zögernd: »War das …?«
»Es war Natasha«, sagte Lumley feierlich, als könne der Name den sterblichen Überresten nach all der Zeit noch eine Identität verleihen. »Sie lag in einem Korb, der tief unten im Brunnenschacht hing. Nach Ansicht der Forensiker wurde sie stranguliert. Eine erste Untersuchung ergab, dass mindestens drei Halswirbel gebrochen waren.«
Robert senkte den Kopf und tastete nach Louisas Hand, bemüht, die Bilder, die sich ihm aufdrängten, gleich wieder zu verbannen. Lumley beantwortete seine unausgesprochene Frage: »Wir hatten von Anfang an Cheryl in Verdacht. Daraufhin durchsuchten wir damals den Garten, fanden jedoch nichts außer einer toten Katze, die man dort begraben hatte. Die Platte, die auf dem Brunnenschacht lag, war derart von Gras und Unkraut überwuchert, dass man sie nicht sehen konnte. Außerdem besaßen wir ja nur vage Anhaltspunkte.«
Lumley richtete sich auf, als müsste er sich gegen Vorwürfe wappnen. Doch das Baby war damals schon tot gewesen. Sie hätten es auf keinen Fall retten können. »Cheryl plädiert bereits auf Unzurechnungsfähigkeit. Sie sagt, ihre postnatale Depression sei weder erkannt noch behandelt worden.«
»Gehen wir«, sagte Robert. Er musste hier raus. Bevor Ruby überhaupt richtig wach war, hatte er sie schon auf die Füße gestellt und bugsierte sie zum Auto. »Was wolltest du mir eben sagen?«, fragte er Louisa, während sie die kleine Straße hinunterfuhren.
Louisa warf einen Blick nach hinten zur Rückbank, wo sich Ruby mit den Kopfhörern in den (ihren zusammengerollt hatte. »Ach nichts«, sagte sie und legte Robert leicht die Hand auf den Arm. »War nicht so wichtig.«
Bald fuhren sie auf der M1 in Richtung Süden. Robert hielt den Blick auf die Straße gerichtet, nur ab und an warf er einen verstohlenen Blick zur Seite, um zu sehen, ob Louisa eingeschlafen war. Doch sie blickte die ganze Zeit unbeweglich und schweigend hinaus in die Nacht.
35
R
obert spürte sofort, dass sie wieder da war. Die Luft atmete sich so leicht und die rosige Morgendämmerung schien von einem verheißungsvollen Raunen erfüllt …
Nachdem er Ruby und Louisa hatte eintreten lassen, zog Robert den Schlüssel ab und schloss leise die Tür. Er wollte sich erst vergewissern.
»Geht schon mal in die Küche«, sagte er zu Louisa. »Ich komme sofort nach, und dann machen wir uns was zu essen.«
»Ich will ins Bett«, jammerte Ruby, die die Augen kaum noch aufhalten konnte.
»Na gut, mein Schatz. Dann geh ruhig nach oben. Ich bin gleich bei dir.« Als sie sich anschickte, die Treppe hinaufzusteigen, strich Robert ihr über den Kopf. Auf einmal war die alte Vertrautheit wieder da. Er folgte Louisa ins Wohnzimmer.
»Was für eine Nacht!«, rief sie aus und legte Robert die Arme um den Hals. Genau in diesem Augenblick richtete sich Erin auf dem Sofa auf, auf dem sie gelegen hatte.
Als sich die Blicke der beiden Frauen trafen, verschwand Erins Schlaftrunkenheit. Ihre Augen blickten hellwach und ungläubig.
»Robert!«, rief sie.
» Erin! « Er löste sich aus Louisas Armen. »Du bist wieder zu Hause!«
Erin
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