Blutskinder
warf die Decke zurück und rappelte sich umständlich auf. Ihr Haar war zerzaust, die Haut fast durchsichtig bleich, ihr Blick eisig.
»Schön blöd von mir«, sagte sie leise. »Ich hätte mir denken können, dass du mich hintergehst, sobald ich durch die Tür bin.« Ihre Stimme klang bitter und schneidend.
»Nein, Erin, das ist nicht wahr.« Da entdeckte Robert die leere Weinflasche auf dem Tisch und das bis zur Neige geleerte Glas. Bei dem Versuch, sich gänzlich von der Decke zu befreien, hätte Erin beinahe das Gleichgewicht verloren. Offensichtlich hatte sie sich den Wein vor nicht allzu langer Zeit zu Gemüte geführt.
»Keine Sorge, ich bin schon wieder weg.« Mit zuckersüßem Lächeln schob Erin ihre Füße in die Sandalen. »Wo ist meine Tochter? Wo sind die Autoschlüssel?«
» Unsere Tochter ist schlafen gegangen. Sie war fix und fertig. Und du gehst nirgendwohin.« Als Erin an ihm vorüberwankte, packte er sie beim Handgelenk.
»Dann eben morgen.« Erin zog ein Gesicht und machte den schwachen Versuch, sich loszureißen. Ihr Atem, ihr Haar, ihre Kleider, alles roch nach Alkohol. Um sie zu beschwichtigen, zog Robert sie an sich. »Du redest Unsinn«, sagte er. »In diesem Zustand lasse ich dich nicht gehen. Ich lasse dich überhaupt nie wieder weg.« Und mit sanftem Druck schob er sie in Richtung Küche.
Das hätte er damals auch mit Jenna tun sollen. Stattdessen hatte er zugelassen, dass sie aus dem Haus rannte und in betrunkenem Zustand losfuhr. Er hatte sie dazu getrieben.
»Du trinkst jetzt erst mal eine große Tasse Kaffee, und dann reden wir.«
Robert schwieg und lauschte, ob Jennas Stimme zu vernehmen war. Nichts. Prüfend blickte er sich um. Abermals nichts. Nur das vertraute Zimmer. Also warf er einen Blick in den dämmerigen Garten, doch alles, was er sah, war sein eigenes und Erins Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Im Stillen sagte er Jenna Lebewohl.
»Ich setze schon mal Wasser auf«, sagte Louisa, die sich vorkam wie der Funke in einem Pulverfass.
Robert führte Erin zum Küchentisch, dann beugte er sich über Louisas Laptop und tippte gegen die Maus, um die Bildschirmanzeige zu aktivieren.
»Schau mal deine E-Mails an, Louisa.«
»Ach, Rob, lass uns doch erst mal Kaffee …«
»Bitte jetzt, Louisa, sonst tue ich es.« Robert sehnte sich nach dem endgültigen Beweis dafür, dass sein Verdacht gegen Erin einfach lächerlich gewesen war. Nun, da die Polizei die grausige Wahrheit in Bezug auf Cheryls Baby herausgefunden hatte, blieb nichts mehr zu befürchten. Selbstverständlich war Erin Rubys Mutter.
»Rob, warum …«
»Schau mal, da ist sie. Die E-Mail von James Hammond.«
Er schob Louisas Hand vom Mousepad und öffnete die Mail selbst. Louisa ließ sich in einen Sessel fallen, von dem aus sie den Bildschirm nicht sehen konnte. »Sie gehört ganz und gar zu uns!«, verkündete Robert nach wenigen Sekunden beglückt, bevor ihm einfiel, dass Erin ja gar nicht wusste, wovon er sprach. Gott sei Dank hatte sie keine Ahnung, dass er auch noch Rubys Herkunft angezweifelt hatte! »99,9 Prozent«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu und gab Erin so behutsam einen Kuss auf den Hals, als sei sie soeben erst Mutter geworden. Für Robert war sie das in gewisser Weise auch.
Kerzengerade saß Erin auf ihrem Stuhl und beobachtete die anderen schweigend und wachsam.
Louisa streckte abrupt den Arm aus und drehte den Laptop zu sich herum , um einen Blick auf den Monitor werfen zu können.
»Mami!«, ertönte in diesem Augenblick Rubys Stimme. »Du bist wieder da!« Das Mädchen warf sich in die Arme seiner Mutter. »O b itte, lass Dad nie wieder allein. Ihr dürft euch niemals trennen!« Überglücklich, dass ihre Familie wieder vereint war, zog sie Robert mit in die Umarmung.
Louisa schaute auf. Schweigend beobachtete sie, wie das Geplapper des glücklichen Mädchens seine Eltern wieder zusammenschweißte – wie die beiden Enden eines zerbrochenen Halsbandes.
Ihre Tochter zwischen sich, fassten Erin und Robert einander bei den Händen, verflochten ihre Finger miteinander und erneuerten mit dieser kleinen Geste das Versprechen, das sie sich bei ihrer Hochzeit gegeben hatten.
Im selben Moment trafen sich die Blicke der beiden Frauen, und eine stumme Bitte ging von einer zur anderen. Einen Atemzug lang hielt Louisa die Luft an, dann nickte sie Erin fast unmerklich zu, bevor sie die Augen abwandte.
»Und jetzt der Kaffee«, sagte Louisa, als der bedeutsame Augenblick vorüber war.
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