Blutspiele
Tochter gewesen. Stress, die Anstrengungen der letzten Tage und seine Phantasie hatten ihn ein paar Minuten lang in die Irre geführt. Aber jetzt tat er wieder das, was er am besten konnte, und sogar der Gedanke an Bonnie verschwand allmählich.
Ein paar Minuten später hielt er hinter dem Van des Gerichtsmediziners. Zurück in seiner Wirklichkeit. Nicht angenehm. Oft grauenvoll.
Heute war er froh darüber.
Er stieg aus dem Wagen, bückte sich unter dem gelben Band durch und ging hinunter ans Ufer, wo schon Detective Gary Schindler stand.
»Scheußlich.« Schindler drehte sich zu Joe um, als dieser näher kam. Mit einem Kopfnicken deutete er auf das Mädchen, das in ein paar Metern Entfernung von einem Spurensicherungsteam untersucht wurde. »Sie war noch ein Kind.«
»Nackt. Wissen wir, ob sie vergewaltigt wurde?«
»Noch nicht. Sie trug Jeans und ein rotes Sweatshirt mit einer Aufschrift der University of Georgia. Ihre Kleider lagen unter dem Baum da drüben. Sehr ordentlich zusammengelegt. Auch ihr Körper und die Haare waren sorgfältig arrangiert.« Schindler schwieg einen Moment. »Ein Ritualmord?«
»Könnte sein.« Joe trat vorsichtig einen Schritt vor, um sie genauer anzusehen. Das arme Mädchen. Ihre Augen waren geschlossen, aber das Gesicht war in Panik verzerrt. »Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.«
»Auch das sehr ordentlich«, sagte Schindler. »Ein sauberer Schnitt durch die Drosselvene, hat der Gerichtsmediziner gesagt. Ihre Handgelenke tragen Fesselspuren. Offenbar war sie vor oder während des Mordes gefesselt.«
»Nicht genug Blut für so eine Wunde.«
Schindler nickte. »Doch, da war Blut. Aber der Scheißkerl hat saubergemacht, damit sie hübsch aussieht. Abgesehen von dem Kelch. In dem Kelch hat er Blutspuren hinterlassen.«
Joes Kopf fuhr hoch. »Ein Kelch?«
»In der rechten Hand.« Schindler deutete darauf. »Halb unter dem Körper, aber sie hält eine Art Kelch aus Gold oder Messing. Ich glaube, er ist verziert. Wir können sie nicht bewegen, bevor die Forensiker fertig sind, aber man kann das Blut auf der Innenseite des Bechers erkennen. Darum vermute ich einen Ritualmord.«
Joe erstarrte.
Ein goldener Becher, über und über verziert, hatte Eve gesagt.
Joe kauerte sich auf den Boden, um den Kelch in Nancy Jo Norris’ Hand besser sehen zu können.
Das Gold glitzerte im Licht der Morgensonne. Er konnte nicht erkennen, was sie darstellten, aber es befanden sich ganz offensichtlich Gravuren auf dem Kelch.
Mist.
3
E ve sah dem jungen Beamten, der den Kelch abgeholt hatte, nach, wie er aus der Einfahrt fuhr, vorbei an dem anderen Polizeiauto, das auf der Straße parkte.
»So, nun ist er weg.« Sie drehte sich zu Jane um. »Gehst du jetzt ins Bett und schläfst noch ein bisschen?«
»Klar.« Jane umarmte sie. »Das Ding hat mich beunruhigt. Nein, hat mir eine Höllenangst eingejagt. Es erinnert mich an einen Opferbecher der Azteken oder Mayas. Nicht gerade ein Gedanke, bei dem man gut einschläft. Jetzt befindet er sich in den Händen der Polizei, und es geschieht etwas damit. Joe wird sicher herausfinden, was es damit auf sich hat.«
»Ja, darauf können wir uns verlassen.« Eve blickte Jane hinterher, als sie ins Schlafzimmer ging und die Tür schloss. Sie wusste, was Jane meinte. Sie hatte beim Anblick des Kelchs das Gleiche empfunden.
Nicht mehr daran denken. Jetzt konnte sie ohnehin nichts mehr tun. Draußen befand sich ein Polizeibeamter. In ein paar Stunden würde ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma vorbeikommen und dafür sorgen, dass die Alarmanlage nicht mehr manipuliert werden konnte. Sich beschäftigen. Die Post lesen. In die E-Mails schauen, ob es schon Anfragen gab wegen der Kinder, die auf der Sumpfinsel gefunden wurden. Sie griff nach dem Stapel Briefe auf dem Beistelltischchen.
Ihr Telefon klingelte. Schon wieder Megan.
»Es geht mir gut, Megan«, sagte sie, als sie das Gespräch angenommen hatte. »Ich weiß, dass Sie sich Sorgen machen, aber ich habe keine –«
»Was ist mit Joe Quinn?«
Eve erstarrte. »Was soll mit ihm sein?«
»Wie viel körperlichen Kontakt hatte er mit mir, während ich bewusstlos war?«
»Sie hatten einen Schock und waren völlig ausgekühlt. Auf dem Weg zurück zur Anlegestelle hat er Sie in den Armen gehalten, um Sie zu wärmen.«
»Verdammt.«
»Megan, Sie waren bewusstlos. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, wirkt diese besondere Gabe nur dann, wenn Sie völlig wach und in großer Erregung
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