Blutspur des Todes
Boden gesetzt und musste sich trotzdem noch niederbeugen, um mit seiner Tochter auf gleicher Augenhöhe zu sein.
»Ich sehe dich dann in zehn Tagen wieder«, sagte er.
»Nicht, wenn ich dich vorher sehe«, konterte die Kleine und musste kichern, als Vince die Brauen hochzog, die Hand in die Taille stemmte und so tat, als wäre er jetzt völlig verblüfft.
Die gleiche Szene spielte sich vor jeder Reise ihres Mannes ab, und während des letzten Jahres hatte sie leider zu oft Gelegenheit gehabt, die beiden dabei zu beobachten. Anfangs hatte sich Grace manchmal gewünscht, an dem Ritual teilzuhaben, bis ihr bewusst geworden war, dass sich darin Traurigkeit und auch ein Anflug von Angst ausdrückten.
Vince richtete sich wieder auf und griff sich dabei in die Kreuzgegend, eine scheinbar unbedeutende Bewegung, die einer aufmerksamen Ehefrau jedoch nicht entging.
»Hast du deine Advil-Tabletten auch nicht vergessen?«
fragte sie ihn, als sie ihm zum Abschied einen KUSS auf die Wange gab.
»Das nennst du einen Abschiedskuss?« fragte er scherzhaft, sah dann seine Tochter an und verdrehte theatralisch die Augen. Emily kicherte.
»Es ist ein elfstündiger Flug«, erinnerte Grace ihn mit ernster Miene und ließ sich nicht von dem verspielten Theater der beiden ablenken. Er zog sie dicht an sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Bist du sicher, dass du allein zurechtkommst?«
Sie wusste, dass die Besorgtheit, die sich in seiner Frage ausdrückte, nicht nur ihr, sondern vor allem Emily galt.
Allerdings entwickelte sich ihre Tochter inzwischen zu einem altklugen Wildfang, was er entweder nicht bemerkte oder aber bewusst ignorierte. Ihr wäre es gar nicht unlieb, Emily würde etwas weniger unbekümmert aufwachsen, wenn sie das davon abbrachte, etwa in ihrem Garten nach Schlangen und Heuschrecken zu jagen, die sie dann in ihr Planschbecken warf, um zu sehen, ob sie schwimmen konnten. Manchmal fragte sie sich jedoch auch, wen ihr Mann wirklich vor den harten Fakten des Lebens schützen wollte, Emily oder sich selbst.
»Ich komme schon zurecht.« Sie wich ein wenig zurück, um ihm in die Augen sehen zu können. Er sollte merken, dass es ihr ernst war. »Was sind schon die paar Umzugskisten.
Wenn du zurückkommst, sind sie ausgepackt, und ich habe das Haus fertig eingerichtet.«
»Das habe ich nicht gemeint«, wandte er ein und legte die Stirn in Falten. Sein Blick war nun nicht mehr schelmisch, sondern wirkte besorgt.
»Was? Kann ich nicht mal einen Scherz machen? Okay, ich gebe ja zu, dass es länger als zehn Tage dauert, das alles auszupacken.«
Natürlich wusste sie, dass sich seine Frage auf ihr Problem mit Jared Barnett bezogen hatte. Sie hatte den Fehler gemacht, ihm zu erzählen, dass sie Barnett am Tag zuvor im Gerichtssaal gesehen hatte. Zum Glück hatte sie nicht auch noch die Begegnung vor der Reinigung erwähnt. Vince neigte dazu, sich viel zu schnell Sorgen zu machen. Insgeheim fürchtete er, irgendein Mistkerl, den sie ins Gefängnis befördert hatte, könne eines Tages bei ihnen auftauchen, um sich zu rächen. Tatsächlich brachte es ihr Beruf mit sich, dass gelegentlich anonyme Drohungen bei ihnen eingingen. Bisher war es allerdings immer dabei geblieben. Das war eben das Risiko, das ihr Beruf als Bezirksstaatsanwältin mit sich brachte.
»Ich möchte nur einfach nicht, dass du dich ängstigst«, sagte Vince. »Du darfst nicht anfangen, jeden Schatten für diesen Mann zu halten.« Er streckte seine Hand nach Emily aus und beendete damit den ernsten Teil des Gesprächs. Aber Emily hatte wohl schon genug mitbekommen, und Grace schwante, dass sie ihre Fragen abfeuern würde, sobald sie im Auto saßen.
Im Gegensatz zu Vince versuchte sie stets aufrichtig zu ihrer Tochter zu sein. Trotzdem vermied sie natürlich alles, was die Kleine unnötig ängstigen könnte, und sie hoffte inständig, Emily würde von der harten Realität ihres Jobs möglichst wenig mitbekommen. Seit sie in der Vorschule war, waren ihre Fragen ohnehin schon bedrängender geworden.
Erst letzte Woche hatte sie wissen wollen, warum Grace einen anderen Nachnamen trug als sie und ihr Vater. Grace erinnerte sich gar nicht mehr genau, wie sie sich aus der Affäre gezogen hatte, aber irgendwie war es ihr gelungen. Wie sollte ein vierjähriges Kind denn verstehen, dass der andere Name ihrem Schutz diente? Sollte es doch einmal jemand darauf absehen, sich an ihr zu rächen, musste er ja nicht gleich auf Vince und Emily stoßen.
»Mach dir
Weitere Kostenlose Bücher