Blutspuren
– keine Schuldminderung zur Folge, weil ein Täter, der sich schuldhaft in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzte und in diesem Zustand eine Straftat beging, nach dem verletzten Tatbestand bestraft wurde. Oder das System rechtsanwaltlicher Tätigkeit, insbesondere hinsichtlich der Strafverteidigung: Allein die Tatsache, daß in der DDR für mehr als 28000 Bürger nur ein Rechtsanwalt tätig sein konnte (zeitgleich in der Bundesrepublik ein Rechtsanwalt für etwa 1200 Bürger), wirft jede Menge Fragen auf.
Schließlich zählt auch das Problem der Justizirrtümer in der DDR-Rechtsprechung zu den offenen Fragen. Tatsächlich gab es einige Mordfälle, in denen unglücklicherweise Unschuldige in Untersuchungshaft, ja sogar zeitweise in den Strafvollzug gerieten. Meist haben eine ungünstige Beweiskonstellation, belastende Zeugenaussagen oder falsche Geständnisse dazu geführt. Die Frage aber, ob kriminalistischer Übereifer oder Erfolgsdruck zu einer unbewußten oder bewußten Manipulation von Beweisen und damit zu Fehlurteilen geführt haben können, ließe sich, um leichtfertigen Spekulationen zu entgehen, erst nach genaueren Untersuchungen beantworten.
Der Schutz der Persönlichkeitsrechte gebot, die Namen der Tötungsopfer, der Täter und Zeugen zu schützen. Gleiches gilt für die meisten anderen Akteure, die keineswegs erfundene Figuren darstellen. Es war mitunter notwendig, einige Handlungsorte zu verändern. Auch bestimmte Handlungsabläufe galt es zu straffen und auf das kriminologisch Typische zu konzentrieren.
Das Buch ist keine wissenschaftliche Monographie, verzichtet daher auf ausführliche Literaturangaben und verweist nur auf grundsätzliche Quellen.
Bisweilen ergänzen Auszüge aus polizeilichen Ermittlungsakten, Sachverständigengutachten oder Zeitungsausrisse die vorliegenden Berichte.
Es finden sich aber auch im Buch Tatortfotos und Bilddokumente aus Sektionssälen. Sie kommentieren die beschriebenen Geschehnisse auf eigene, erschreckende Weise. Das könnte manchen Leser schockieren. Doch liegt es in der Absicht des Autors, neben der verbalen Beschreibung der verbrecherischen Vorgänge auch über die Bilddokumente einen winzigen Einblick in jene abnorme, befremdliche Realität zu vermitteln, die Außenstehende am liebsten verdrängen möchten, der sich aber die an der kriminalistischen Untersuchung Beteiligten nicht entziehen können.
Zu den einzelnen Fällen wurden die zutreffenden Aktenzeichen genannt, um erforderlichenfalls dem beruflich Interessierten den Zugang zu den Originalunterlagen zu erleichtern.
Den Abschluß des Buches bildet ein kurzes Nachwort über das Strafvollzugssystem in der DDR sowie ein Glossar mit der Erläuterung wichtiger Begriffe und Abkürzungen.
Und schließlich: Das vorliegende Buch soll die Rückschau auf einen eng begrenzten Teil der DDR-Realität, nämlich ihre unbekannten Tötungsdelikte, beschließen. Inzwischen haben sich verschiedene Autoren dem Thema der Kriminalität in der DDR gewidmet. Nun gilt es wieder, den Blick in die Gegenwart zu richten.
Die Explosion der Gewaltkriminalität und ihr gewaltiges Dunkelfeld stehen einem sich fortwährend vergrößernden forensischen Dilemma entgegen: Einerseits verfügt die kriminalistische Spurenkunde in der Bundesrepublik über ausgefeilte, hochempfindliche Verfahren, andererseits werden die forensischen Fachgebiete durch rigorose Einsparmaßnahmen gefährlich bedroht, fehlen gesetzgeberische Innovationen, die den aktuellen Ansprüchen an die Bekämpfung der Mord- und Totschlagsdelikte Rechnung tragen. Es gibt also noch unendlich viel zu tun!
Altdorf im Juni 2001
Hans Girod
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Der Einzelgänger
(Tagebuchnummer 8285/72 Dezernat II, MUK, BdVP Leipzig)
Messestadt Leipzig, 9. Juli 1972, ein angenehm warmer Sonntag, und Schulferien. Viele Großstädter hat es zum Wandern in das waldreiche Umland hinausgezogen. Andere erquicken sich beim Bade. Auch die vierköpfige Familie Teige, die in der Saefkow-Straße im Stadtgebiet Gohlis wohnt, verbringt den Tag im Strandbad Auensee, nahe des Leipziger Stadtforstes. Zwar bietet die große Wiese im Garten hinterm Wohnhaus ausreichenden Platz für muntere Spiele, doch heute ist Baden angesagt.
Mutter, Vater und die beiden Kinder genießen so die Vorfreude auf die bevorstehende Urlaubsreise an die Mecklenburger Seenplatte: Der neunjährige Michael, ein aufgewecktes
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