Blutsvermächtnis (German Edition)
geschlagen. Der Bau hatte sich entwickelt … mit der Zeit. Nur einer nicht, der entsprach dem Zustand, in dem er ihn vor zwölf Jahrtausenden verlassen und versiegelt hatte. Der Schmerz ließ sein Herz verkrampfen. Er wünschte keine Störung. Erst recht keine Wissenschaftler, die glaubten, sie müssten dem Erdboden jedes nur erdenkliche Geheimnis entreißen – zumindest, sofern es sich um seine Belange handelte. Das Grab seines Sohnes würde bis ans Ende seiner Tage unangetastet bleiben, diesen Schwur hatte Elasippos vor langer Zeit abgelegt.
Die Bürde ließ seine Schritte steif und förmlich werden. Fast kam er sich wie ein Duplikat von Crichton vor. Wie viele Jahre stand der Mann bereits in seiner Pflicht? Dreihundert? Fünfhundert? Manchmal war es nicht leicht, die Epochen auseinanderzuhalten. Erst recht, wenn er sich – in Perioden wie jetzt – über Dekaden von den Menschen fernhielt und so gut wie ausschließlich in seinem Reich verweilte.
„Crichton!“ Elasippos Stimme warf ein Echo wie Donnerhall durch die ausgedehnten Fluchten.
Lautlos und geschwind wie immer erschien der Butler. „Stehe zu Diensten, Herr.“ Crichtons Sprachfärbung zeichnete sich durch einen angenehmen, warmen Bariton aus. Sonor und gleichwohl leise und schnurrend.
„Wir erwarten einen Gast. Richtet bitte das blaue Gästezimmer her.“
„Jawohl, Herr.“
Im Grunde würde sich keine weitere Behelligung ergeben, die missliche Lage hatte ein Ende gefunden, wenn auch ein ärgerliches. Er würde Morrisons Blut kosten – und sofern es ihm zusagte, den Wissenschaftler nach und nach zu seinem Blutwirt machen. Eine leise Vorfreude mischte sich unter seine trüben Gedanken. Ein bisschen frisches Blut konnte nicht schaden.
Plötzlich entsann er sich eines alten Wunsches. „Ist es bis heute Abend zu bewerkstelligen, eine Schar von Domestiken zu verdingen, Crichton?“
Sein Faktotum neigte das Haupt. „Sehr wohl, Herr. Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Der Butler hatte ein Gespür dafür, wann ein Gespräch beendet war. Formvollendet zog er sich zurück.
Elasippos achtete seinen Bediensteten und Blutwirt. Nie zuvor hatte er es so lange mit einem ausgehalten. Crichton war eine Ausnahmeerscheinung. Blaublütig, wohlerzogen, aus edlem Hause und seinen Status fraglos zu schätzen wissend. Niemals hatte es Grund zu Beanstandungen gegeben. Würden sich doch nur alle Leute, die auf seiner Gehaltsliste rangierten, so zuverlässig und erquicklich wie Crichton erweisen …
Elasippos griff nach einer Schachfigur und drehte sie in den Fingern. Dass der Gefangene bereits die Siebzig überschritten hatte, schürte seine Hoffnung, es mit einem gesitteten Vertreter der menschlichen Rasse zu tun zu bekommen. Zeigte sich die Menschheit seit der Jungsteinzeit zu keiner Sekunde sonderlich klug und weise, hatte sie gerade in der jüngsten Vergangenheit begonnen, sich noch extremer zu ihrem Nachteil zu entwickeln. Irgendwann bei Anbruch des Industriezeitalters war es Elasippos zu viel geworden, und er hatte sich – wie bereits mehrere Male für Jahrhunderte – in sein Reich unterhalb der Atacamawüste zurückgezogen. Natürlich war er dabei nicht hinter dem Mond geblieben. Er verfolgte genauestens jedwede Entwicklung, hielt sich auf dem neuesten Stand der Technik und Wissenschaft. Seine Schatzkammern rund um den Globus barsten vor Fülle – er konnte sich jeden neumodischen Schnickschnack leisten, den er sich wünschte und einiges anzuschaffen hatte er im Laufe der Jahre als unumgänglich ansehen müssen.
Es gab genügend Raffhälse, die sich für einen entsprechenden Preis unter strengster Geheimhaltung mit verbundenen Augen herführen ließen und die gewünschten Arbeiten ausrichteten, ohne Fragen zu stellen. Eine seiner wichtigsten Errungenschaften stellte ein ultramodernes System dar, das seinen Komplex gegen sämtliche Standbeine der bildgebenden, telemetrischen sowie Fernmelde- und elektronischen Aufklärungsverfahren abschirmte und nichts als Felsgestein in den Tiefen der sandigen Oberfläche des Tals des Todes preisgab.
Elasippos ging an die Bar und schenkte sich einen Brandy ein. Der Feuerschein aus dem Kamin verlieh der goldbraunen Flüssigkeit einen Stich ins Kupferfarbene und langes, leicht gewelltes Haar floss in seinen Geist. Ihr Blick hatte auf seinem nackten Oberkörper geprickelt, während sie seine morgendliche Runde verfolgte, bis er außer Sichtweite geriet. Sie hatte geglaubt, es wäre ihm nicht aufgefallen, nur weil sie
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