Blutsvermächtnis (German Edition)
Wind den Atem an, bemüht, sämtliche überflüssigen Anstrengungen zu vermeiden. Allein die Stimme des Interpreten, die aus dem batteriebetriebenen Radio rieselte, ließ die Hitze beneidenswert unbeeindruckt.
Beinahe nebensächlich blickte sie diesmal auf ihre Armbanduhr und schluckte umso härter den Drang hinunter, bereits jetzt Alarm zu schlagen. Der Schweiß juckte unter dem Lederarmband. Nevaeh nahm es ab und legte es auf den Felsen. Wie oft hatte sie erlebt, dass Expeditionsmitglieder sich verspäteten, weil Unvorhergesehenes ihr Interesse weckte und sie darüber die Zeit vergaßen. Es entsprach dem Alltag, und Dad und seine beiden Begleiter stelltenkeineswegs eine Ausnahme dar. Indessen verankerte sich nichtsdestotrotz dieses Klümpchen tiefster Unruhe wie eine Zecke in ihrem Magen.
„¡Vete al Carajo!“, durchbrach ein wütender Ausruf Nevaehs Angespanntheit.
Ihr entschlüpfte ein unfreiwilliges Lächeln. Auch ohne Spanischkenntnisse hätte sie den Fluch verstanden. Das Geplänkel gehörte zu einem der kauzigen Rituale zwischen Pedro, dem Koch des Teams und einem Küchenjungen. Der eine schickte den anderen zur Wasserstelle, der Gehörnte, der bei sengender Glut diesen Weg erledigen musste, seinen Befehlsgeber zum Teufel.
Nevaeh legte die Zeichenutensilien beiseite und verstaute die Unterlagen in einem Stahlkoffer im Zelt. Sie konnte die Geländekarte mit den genauen Koordinaten ihrer Grabung und den Abmessungen des Befundes nicht fertigstellen. Ihr fehlten zu viele Informationen. Sie fragte sich, ob Dad, statt nur die Absteckungen am Grabungsort vorzunehmen, in den Schacht vorgedrungen sei, unter dem sie die Grabkammer erwarteten. Vielleicht kroch er den noch ungesicherten Tunnel entlang und buddelte mit bloßen Händen nach einem Höhleneingang. Sie sah ihn mit wund gescheuerten Fingern vor sich.
Unsinn. Allein ihr gemeinsames Survival- und Notfalltraining, das sie alle zwei Jahre absolvierten, verbot das Eingehen derartiger Risiken. Und so verrückt war Dad auch nicht, obgleich er aufgeregter und ruheloser schien als jemals zuvor. Sie beruhigte sich damit, dass diese Ausgrabung sein letztes großes Abenteuer sein würde, ehe das Alter ihn in den Ruhestand zwang. Mit zweiundsiebzig war das längst überfällig – und sie würde garantiert vor ihm zum Pflegefall werden, wenn sie sich ständig um ihn sorgte. Natürlich, sie war eine Glucke, doch so hartnäckig rumorte die Nervosität sonst nie in ihr.
Etwas war unnormal. Es brodelte in einer verschlossenen Schublade ihrer Gedankenwelt und trachtete fieberhaft danach, sie zu bewegen, den Schlüssel umzudrehen. Drohendes Unheil abzuwehren. Nevaeh schüttelte den Kopf und verdrängte den Impuls. An ihre verfluchte Gabe wollte sie nicht erinnert werden, schon gar nicht sich damit auseinandersetzen.
Der ausgetrampelte Pfad hinab zum Küchenzelt verlief abschüssig und sandig zwischen klobigem Felsgestein, gespickt mit scharfkantigem Geröll. Sie kickte einen Stein über eine Felskante. Die Besorgnis lag ihr jetzt schwerer im Magen als dieser Brocken. Dennoch mochte sie Pedro nicht enttäuschen, indem sie sich nicht wie jeden Tag in das Küchenzelt und an die Töpfe heranschlich. Es mussten ja nicht alle gleich am Rad drehen. Sie schlug die Plane beiseite und ein weitaus heftigerer Schwall Hitze als im Freien traf sie. Wie es der braun gebrannte Chilene hier aushielt, gab ihr erneut ein Rätsel auf. Hinter dem Rücken des schmalen Mannes in karierter Hose und weißer Leinenjacke folgte sie dem verlockenden Geruch des Essens. Der Koch liebte dieses Spielchen und niemandem außer ihr ließ er durchgehen, dass er vor dem Essen in die Töpfe sah. Diesmal kam sie nur bis auf zwei Schritte an die dampfenden Kessel heran. Draußen brandete jäh Unruhe auf.
Motorengeräusche schwollen an, die einheimischen Helfer riefen sich aufgeregt Sätze zu, die sie nicht verstand. Die Atacameños redeten zu schnell und nuschelten zudem in tiefstem Dialekt. Mit einem Schulterzucken bedeutete sie dem enttäuschten Küchenchef ihr Bedauern und hastete zum Zeltausgang zurück.
Das wurde wirklich Zeit. Dad sollte sich künftig besser an Absprachen und Zeitpläne halten. Mit der flachen Hand schirmte sie die Augen gegen das grelle Licht ab und presste ein Taschentuch vor Mund und Nase, um von Staub und Abgasen keinen Hustenanfall zu bekommen.
Nur wenige Yards vor ihr kamen drei Militärjeeps zum Stehen. Uniformierte Kerle sprangen heraus, Maschinenpistolen im Anschlag. Ihr
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