Blutsvermächtnis (German Edition)
starrte aus dem Fenster auf die Silhouette der in allmählicher Nacht versinkenden Stadt. Er würde in Dads und Nevaehs Haus fahren müssen, um Kleidung und sonstige Utensilien zu holen. Vorher wollte er mit Jayden reden, der bald zum Dienst aufbrechen würde. Um ihn noch daheim anzutreffen, müsste er sich beeilen, den Schlüssel zu Nevaehs Villa zu holen. Bereits vor Ewigkeiten hatte er diesen von seinem Bund entfernt. Oder würde Catalina dort sein und ihn einlassen?
Ihm schwindelte bei dem Gedanken, zum ersten Mal nach so langer Zeit sein Geburtshaus zu betreten. Ob die beiden alles belassen hatten, wie er es kannte? Er kam sich vor wie ein Eindringling. Er war ein Fremder.
Never Trust A Stranger
. Kim Wildes Stimme tobte durch seinen Schädel, betäubte sämtliche Spekulationen und Fragen und er ließ es willig zu.
Obwohl Noah regelmäßigen Kontakt zu Dad hatte, fanden die Treffen nie im Elternhaus statt, das Nevaeh gemeinsam mit seinem Vater bewohnte. Sie weigerte sich, Noah einzulassen. Seit dem elenden Streit, in dem er ihr Gemeinheiten an den Kopf geworfen hatte, die ihm aufrichtig leidtaten. Trotzdem konnte er sie nicht um Verzeihung bitten, war er doch weiterhin überzeugt, dass Nevaeh im Unrecht war. Dass sie sich irrte, sich etwas einbildete und dringend an ihrer Manie arbeiten sollte. Wahrscheinlich hätte er nachgegeben, wenn sie ihm gegenübergetreten wäre. Aber sie wollte ihn nicht sehen, schon gar nicht in Begleitung seines Freundes. Sie alle hatten sich der Unnachgiebigkeit Nevaehs gebeugt, die trotz der ins Land gezogenen Jahre nicht gesprächsbereit war. Als Jayden das Verhältnis zu ihr beendete, weil er sich zu seiner Homosexualität bekannte und sich seiner Aussage nach unsterblich in Noah verliebte, mutierte sie zu einem Eisblock. Dad stritt das vehement ab, ihr Verhalten gestattete jedoch keine andere Interpretation. Dabei hatte Nevaeh und Jayden nur eine kurze Freundschaft während des Studiums verbunden, nicht mehr als ein paar Knutschereien und Fummeleien. Sex hatten sie nie gehabt, das glaubte er seinem Partner aufs Wort.
Endlich gab sich Noah einen Ruck. Ein Taxi brachte ihn heim, seinen Wagen musste er morgen irgendwo am Flughafen suchen. In der Aufregung hatte er vollkommen vergessen, wo er ihn abgestellt hatte und der Parkzettel war ebenfalls abhandengekommen.
„He, träumst du?“ Jayden strich Noah über das Haar.
Im Job mochte er ein harter Kerl sein, das vermutete Noah hinter dem Auftritt, den Jayden im Privatbereich ablieferte. Zu Hause war er stets liebevoll und zärtlich, ein guter Zuhörer wie brillanter Alleinunterhalter. Niemalswurde er grob oder streitlustig, weder stur noch aufbrausend. Im Gegensatz zu ihm, dem ein Teil dieser Eigenschaften wie Nevaeh in die Wiege gelegt zu sein schien. Noah hatte im Laufe ihrer Beziehung viele negative Merkmale abgelegt. Nein, korrigierte er sich, das war nicht ganz richtig. Hin und wieder brannte das Temperament mit ihm durch, doch die Zeit hatte seine Macken geschliffen, sie auf ein erträgliches Maß gestutzt und ihn gesellschaftsfähig werden lassen. Das kam ihm auch in seinem Beruf als Computerlinguist zugute, denn erst diese Entwicklung hatte ihn Teamfähigkeit gelehrt und nach seinem Masterstudium einen Platz in leitender Funktion im UCLA Linguistics Department, dem sprachwissenschaftlichen Fachbereich der University of California, Los Angeles, erklimmen lassen.
Noah schaute auf. „Ich hatte gehofft, dass du heute Nacht freinehmen könntest.“ Aufgrund ihrer unterschiedlichen Arbeitszeiten sah er seinen Freund seit etwas mehr als einem Jahr nur wenige Stunden in der Frühe und am Abend. Jayden sank vor Noahs Sessel und grub die nackten Zehen in den penibel gesaugten, dicken Teppichboden, den sie allein aus dem Grund angeschafft hatten, weil Jayden am liebsten barfuß in der Wohnung herumlief und das Gefühl des flauschigen Flors an den Füßen vergötterte. Nur sauber musste er sein, penibel sauber.
Jetzt jedoch war Jaydens Gesichtsausdruck nichts der himmlischen Faszination anzusehen. Im Gegenteil. Der Blick spiegelte den Ernst und die Trauer Noahs eigenen Gesichts. Eine ungute Gewissheit schoss ihm in den Leib, ließ seinen Magen rebellieren und ihn sauer aufstoßen. Selbst nach einem hastigen Schluck Cognac lähmte ihn das Entsetzen. Er wusste, dass Jaydens Ernsthaftigkeit mit der Ankunft seiner Schwester zu tun hatte. Er verfluchte sich, dass er alle diesbezüglichen Fragen verdrängt, sich sämtliche Gedanken
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