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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Giuttari
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Straße entlang. Einige hatten den Kragen hochgeschlagen, andere ihre Mütze tief über die Ohren gezogen und wiederum andere den Schal fest um den Hals gewickelt. Viele gingen in Richtung des prächtigen Grand Central Terminal.
    Es war tatsächlich kein gewöhnlicher Samstag.
    Im Morgengrauen war die Halloween-Woche mit der am Vorabend bei Sonnenuntergang beginnenden Parade der Hexen und Gespenster, die Seite an Seite mit Skeletten und anderen makaber Kostümierten durch Greenwich Village zogen, zu Ende gegangen. Und für den darauffolgenden Tag war der 34. New-York-Marathon angesetzt.
    Es war gerade 21.25 Uhr vorbei, als ein älterer Bewohner das Apartmenthaus an der East 42nd Street in Midtown, quasi an der Ecke Madison Avenue, betrat. Eines von diesen Häusern, bei denen die Kaufpreise und Mieten der Wohnungen in astronomische Höhen gestiegen waren. Mit der rechten Hand hielt er einen kleinen Hund an der Leine. Er ging durchs Foyer, und sein Blick richtete sich auf die Portiersloge, wo er den Portier mit auf die Schulter gesunkenem Kopf dasitzen sah.
    Aber … was ist denn mit dem los? Ist er etwa eingeschlafen?, fragte er sich. Verwundert trat er näher und musterte den Mann. Das Licht des großen Kristalllüsters an der Decke blendete ihn, sodass er die Augen ein wenig zusammenkneifen musste.
    Ihm bot sich ein erschütternder Anblick.
    Die Wangen des Portiers waren voll Blut, seine Augen angstgeweitet, und die Zunge hing ihm aus dem halb offenen Mund. Auch seine Livree war blutbespritzt, das Rot noch leuchtend hell, und weiteres Blut, so viel, dass es eine schimmernde Pfütze bildete, war auf den Marmorfußboden getropft.
    Der alte Mann starrte ihn einige Sekunden bestürzt an. Dann fuhr er sich mit der Linken über die hagere Stirn, als wollte er den Horror wegwischen, aber da zerrte das Hündchen an der Leine und riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Der Mann sah sich um. Niemand da. Schließlich eilte er zum Aufzug und wiederholte dabei immer wieder: »Oh Gott, oh mein Gott!«

    Das Telefon klingelte genau in dem Augenblick, als Lieutenant John Reynolds von seinem Bürosessel aufstand, um nach Hause zu gehen.
    Auf seinem aufgeräumten Schreibtisch zeigte die Digitaluhr neben dem gerahmten Foto, das ihn mit seiner Frau und seiner Tochter zeigte, 21.50 Uhr an. Es war ein besonders anstrengender Tag gewesen. Taschendiebstähle, Handtaschenraub, Ladendiebstähle. Am späten Nachmittag die Anzeige einer Mutter wegen sexuellen Missbrauchs ihrer zwölfjährigen Tochter. Eventuell durch denselben Täter, der seit einiger Zeit die Teenager Manhattans und deren Eltern in Angst und Schrecken versetzte. Ein schwieriger Fall.
    Er nahm den Hörer ab in der Erwartung, dass es seine Frau sei, die wissen wollte, wann er nach Hause komme. Doch sie war es nicht.
    »Lieutenant Reynolds?«, fragte die Telefonistin seiner Abteilung.
    »Ja, was gibt’s?«
    Er hörte zu.
    »Ich fahre gleich hin«, sagte er dann und legte verdrießlich auf. Er zog seinen Trenchcoat über den dunklen Anzug und verließ das Büro. Seine Miene zeigte eine Mischung aus Müdigkeit und Ärger.

    Vor Ort traf er auf eine Streife des New York Police Department sowie eine Gruppe von Detectives.
    Sie waren vom Operator des Notrufs 911 geschickt worden, den der betagte Hausbewohner verständigt hatte. Die Beamten spekulierten gerade über den Tathergang, als Reynolds’ imposante Gestalt, immer noch finster blickend, die weitläufige Eingangshalle betrat.
    »Da ist der Lieutenant«, sagte einer der Detectives, der sich sogleich von der kleinen Gruppe löste und ihm entgegenging.
    »Guten Abend, Sir«, begrüßte er ihn.
    »Guten Abend, Mike.«
    John Reynolds war der Leiter der Detective Squad, der ermittelnden Kriminalpolizei des 17. Reviers, zuständig für sämtliche Straftaten in diesem Bezirk. Er war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit harten Zügen und schütterem, fast vollständig ergrautem Haar. Nach rund dreißig Jahren Berufserfahrung kannte er die Verbrecherwelt Manhattans wie seine eigene Westentasche. Mit seinen sechsundfünfzig Jahren war er der älteste Detective, der noch selbst in den Straßen der Stadt Dienst tat. Die anderen Kollegen in seinem Alter zogen es vor, im Büro zu bleiben und von dort aus die Einsätze zu leiten, um sichnicht mehr dem Übermaß an Stress und dem ständigen Schlafdefizit auszusetzen. Reynolds war etwas Besonderes, einer der letzten Ermittler der alten Schule, die im Aussterben begriffen war.
    Michael

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