Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Bernardi, ein Topmann seiner Detective Squad, leitete das Morddezernat. Er hatte sich gerade in der Nähe des Times Square aufgehalten, als er den Funkspruch der Zentrale hörte, und war innerhalb von wenigen Minuten am Tatort gewesen.
»Zeugen?«, fragte Reynolds als Erstes.
»Bisher keine, außer dem Hausbewohner, der uns angerufen hat.« Bernardi zeigte auf einen Mann, der nicht weit von ihnen mit einer farbigen Polizistin sprach. Der Lieutenant warf einen schnellen Blick auf ihn. Er war groß, fast nur Haut und Knochen, und hatte nur noch wenige Haare am Hinterkopf.
»Er muss von einem Einbrecher oder Raubmörder erschossen worden sein. In der Portiersloge liegen zwei Patronenhülsen aus einer Pistole. Kleinkaliber, .22er, schätze ich.«
»Weiß man schon den Namen des Opfers?«, fragte Reynolds, während er sich das Kinn rieb. Diese Bewegung war ihm zur Gewohnheit geworden, eine Art nervöser Tick. An dieser Stelle unter dem Kinn wuchs wegen einer Narbe, die er von einer bewaffneten Auseinandersetzung mit einer Gang aus der Bronx davongetragen hatte, kein Bart mehr.
»Bill Wells«, antwortete die Polizistin prompt, die inzwischen mit dem aufgeschlagenen Notizbuch in der Hand zu den beiden getreten war. Sie war jung und hatte ihre langen schwarzen Haare unter die Dienstmütze gestopft. Keine Spur von Make-up. Sie sah den Lieutenant neugierig an, den sie bisher nur vom Hörensagen kannte. »Ich habeseine Daten erfragt, Sir. Keine Vorstrafen. Ein unbescholtener Bürger«, sagte sie.
»Danke, Officer.«
»Es ist nichts angefasst worden, Sir«, informierte ihn Bernardi.
»Sehr gut. Dann warten wir also auf den Gerichtsmediziner. Riegelt inzwischen den Tatort ab und sorgt dafür, dass niemand hereinplatzt.«
Die Polizistin entfernte sich mit geschmeidigen Bewegungen. Reynolds betrat indessen die Portiersloge, ging langsam um die Leiche herum und betrachtete sie eingehend. Rinnsale von Blut waren aus der Kopfwunde gesickert und hatten das Gesicht des Opfers in eine schaurige Maske verwandelt. Reynolds kehrte zurück in die Halle und hörte sich den Bericht des alten Hausbewohners an, dessen Stimme so schwach klang, dass er ihn mehrmals auffordern musste, lauter zu sprechen.
»Ich bin so gegen acht mit dem Hund rausgegangen, zu unserem üblichen Spaziergang im Park neben der Public Library … dort hinten … Er, Bill, war auf seinem Posten. Er hat mir zugelächelt wie immer und gewunken. Als ich zurückkam, es war fast halb zehn, habe ich ihn so gefunden … Es tut mir so leid für ihn … Er war ein guter Mensch … Ich kannte ihn seit vielen Jahren … Es tut mir so leid …«
Plötzlich waren Schritte zu hören. Jemand kam hastig herbeigelaufen. Gleich darauf rief eine Männerstimme: »Wer ist hier der Chef? Ich will mit dem leitenden Detective sprechen!«
Reynolds drehte sich um und erblickte einen sichtlich aufgeregten Mann um die vierzig in dunkelblauen Jeans und einem gestreiften Rollkragenpullover neben einem Jungen in Trainingsanzug und Tennisschuhen, die hinter dem gelben Absperrband mit der Aufschrift »Polizei – Betreten verboten« standen. Er hob das Band an, schlüpfte darunter hindurch und ging auf die beiden zu.
Inzwischen hatten die Techniker von der Spurensicherung, der Crime Scene Unit, damit begonnen, Fingerabdrücke außerhalb und innerhalb der Portiersloge zu sichern, auch von den Türen eines Holzschranks, der an der Wand lehnte und in dem diverse Gebrauchsgegenstände aufbewahrt wurden.
Nichts würde versäumt werden.
»Mein Name ist McGrey, ich bin Arzt«, stellte sich der Mann atemlos vor. Auf den Jungen zeigend, fügte er hinzu: »Das ist mein Sohn Denis, wir wohnen im fünften Stock.«
Denis war dreizehn, höchstens vierzehn. Dünn, blond, groß für sein Alter, sehr blass. Mit seinen klaren blauen Augen musterte er den Lieutenant von Kopf bis Fuß, offensichtlich fasziniert von der imposanten Erscheinung des Zwei-Meter-Mannes.
»Ich bin der Leiter der Detective Squad, Lieutenant John Reynolds. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Mein Sohn hat einen Polizisten gesehen, Lieutenant …«
»Wie bitte? Ganz ruhig! Vielleicht sollten wir besser ein wenig zur Seite treten, um uns zu unterhalten.« Sie gingen gemeinsam zu einer großen Glaswand im rückwärtigen Teil der Eingangshalle, hinter der immergrüne Pflanzen unter einer gläsernen Kuppel zu sehen waren.
»Bitte beruhigen Sie sich, und erzählen Sie alles der Reihe nach.«
»Es fällt mir schwer, ruhig zu
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