Blutwelt
und ich versuchte auch, die eigenen Gedanken auszuschalten und an nichts zu denken. Diesmal ging ich nicht langsam vor, denn ich wollte es hinter mich bringen. Der Deckel war schwer. Ich hatte mich darauf eingestellt, und es war kein Problem, ihn mit einer einzigen Bewegung in die Höhe zu wuchten.
Das Licht war da. Es reichte aus, um sehen zu können, dass jemand im Sarg lag.
Und es war der, den ich erwartet hatte.
Frantisek Marek, der Pfähler!
***
Es kam schon einem kleinen Wunder gleich, dass mir der schwere Deckel nicht aus den Händen rutschte und zu Boden prallte. Ich starrte Marek an, und dann ließ ich den Deckel langsam fallen. Er stieß mit der Breitseite auf, kippte etwas und wurde von dem Unterteil gehalten, so dass er nicht ganz zu Boden fiel.
Ja, es waren fast die gleichen Gefühle, die mich übermannt hatten, als ich damals in der Leichenhalle vor den Särgen meiner Eltern gestanden hatte. Ich war einfach nicht fähig, etwas zu tun. Ich starrte nach unten, und mein Blick blieb seltsamerweise klar, so dass ich Mareks Gesicht in allen Einzelheiten sah.
Er lag auf dem Rücken. Das Licht traf sein Gesicht voll. Er hielt die Augen offen und schaute zur mir hoch, aber sein Blick war fremd. Doch er war nicht leer. Es gab da noch etwas, das in ihm schwamm und ich mir nicht erklären konnte.
Seinen Mund hielt er nicht geschlossen. Beide Hälften standen so weit offen wie nur eben möglich, und sie sahen so aus, als hätte man sie mit Gewalt geöffnet.
Zwei Zähne!
Zwei verdammte Zähne, die nicht zu ihm gehörten. Die gerade ihn, den Vampirjäger so furchtbar entstellten. Dem Schicksal, das ihn hier ereilt hatte, hatte Marek immer entgehen wollen, ohne es jedoch geschafft zu haben.
Die Kälte hatte mich innen und außen wie ein Sturm erfasst und kleine Hagelkörner auf meinem Körper festfrieren lassen. Es war der reine Wahnsinn, was ich hier zu sehen bekam, und ich fühlte mich wie in eine andere Welt versetzt.
Ich wollte seinen Namen aussprechen, aber unsichtbare Bänder schienen die Kehle zugezerrt zu haben. Zudem hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Frantisek Marek war mir fremd durch die verdammten Zähne, aber trotzdem zugleich so nah.
Erst als ich den Druck in der Brust spürte, da merkte ich, dass ich den Atem zu lange angehalten hatte. Verbunden mit einem heftigen Keuchen verließ er meine Lunge.
Marek schaute mich an.
Das Licht veränderte den Ausdruck in seinen Augen. Ich war mir unsicher, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, als wollte er mir auf seine Art und Weise allein durch den Blick etwas mitteilen. Eine Botschaft geben, mir erklären, dass gewisse Dinge ganz anders lagen, aber die Mischung aus Schatten und Licht ließen seine Blicke wieder verschwimmen, und so tauchte er weg.
Marek würde mich sehen. Marek würde mein Blut riechen. Er würde es haben wollen, und deshalb musste ich damit rechnen, dass er plötzlich hochschnellte und mir an die Kehle fuhr. Das hätte ich ihm nicht mal verübeln können, weil es zu einem Vampir gehörte, der nach bestimmten Regeln existierte.
Man hatte mir bisher eine gewisse Zeit gelassen, aber die war vorbei.
Zudem wollte die Cavallo auch, dass es weiterging.
»He, Sinclair, hast du deine Überraschung verdaut?«
»Es war keine mehr.« Während der Antwort hatte ich mich wieder aufgerichtet.
»Trotzdem, Sinclair. Was sagst du dazu, dass es ausgerechnet den Pfähler erwischt hat, der sich doch immer als Todfeind geoutet hat. Ist schwer, nicht wahr?«
»Hör auf zu reden!«
»Sehr gem. Lass uns handeln. Das heißt, du fängst damit an. Dein Freund hat dir den Pfahl nicht umsonst gegeben. Rate mal, für wen er ist?«
»Ich weiß Bescheid!« Meine eigene Stimme erkannte ich kaum wieder.
»Okay, Geisterjäger. Bewege nur deine linke Hand, wenn du den Pfahl aus der Tasche holst. Solltest du die andere auch nur falsch zucken lassen, schieße ich deinem Freund eine Kugel durch den Kopf. Hast du verstanden?«
»Ja!«
»Dann los!«
Verdammt, mir blieb keine andere Wahl. Ich musste den Pfahl hervorziehen und ihn gegen Marek einsetzen. Dabei durfte ich nicht daran denken, wie viele Blutsauger durch ihn ihre Existenz verloren hatten. Dass sich dieses Instrument einmal gegen ihn wenden könnte, damit hatte ich nie gerechnet.
Als ich die linke Hand um das glatte Eichenholz legte, da durchfuhr mich ein Zittern. Zugleich strömte eine Hitzewelle in mir hoch, die noch mehr Schweiß aus meinen Poren trieb.
»Du kannst ihn in die
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