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Die Stunde Der Jaeger

Die Stunde Der Jaeger

Titel: Die Stunde Der Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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Eins
    Sie läuft aus purer Freude, weil sie es kann, jeder Sprung misst über dreieinhalb Meter. Ihr Maul steht offen, damit sie die Luft schmecken kann, die beißend kalt ist. Es ist Monatswende, und der zunehmende Mond versilbert den Nachthimmel, erhellt einzelne verschneite Stellen im Wald. Es ist noch nicht Vollmond; dass sie vor ihrer Zeit freigelassen wird, kommt nur selten vor, doch die andere Hälfte ihres Wesens hat keinen Grund, sie wegzusperren. Sie ist allein, aber sie ist frei, und deshalb rennt sie.
    Als sie etwas wittert, weicht sie von ihrer Bahn ab, verlangsamt das Tempo zum Trab und senkt die Schnauze zu Boden. Beute, frisch und warm. Die gibt es viel hier in der Wildnis. Der Geruch brennt in der Winterluft. Sie pirscht sich an, atmet mit bebenden Nüstern ein und hält nach der geringsten ruckartigen Bewegung Ausschau. Ihr leerer Magen krampft sich zusammen, treibt sie vorwärts. Der Geruch lässt ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    Sie hat sich daran gewöhnt, allein auf die Jagd zu gehen. Muss vorsichtig sein, darf kein Risiko eingehen. Sie berührt den Boden leicht mit den Pfoten, bereit, einen Satz nach vorne zu machen, in die eine oder andere Richtung zu stürzen, ohne auf dem Waldboden auch nur das geringste Geräusch zu verursachen. Der Geruch – Moschus, heißes Fell
und Kot – nimmt zu und jagt durch ihr Gehirn. All ihre Nerven lodern auf. Sie ist jetzt nahe dran, näher, kriecht auf Jägerpfoten vorwärts …
    Das Kaninchen springt aus seinem Versteck hervor, einem morschen Baumstamm, der von Sträuchern überwuchert ist. Sie ist bereit, weiß, ohne es zu sehen oder zu hören, dass es da ist; ihr Jagdsinn ist angefüllt von der Gegenwart des Beutetiers. In dem Augenblick, in dem es losläuft, setzt sie zum Sprung an, drückt es mit ihren Krallen und ihrem Körper zu Boden, schlägt ihm die Zähne in den Nacken, umschließt ihn mit ihren Kiefern und reißt. Ihm bleibt keine Zeit zu schreien. Sie trinkt das Blut, das aus seinem zerfetzten und gebrochenen Hals quillt, verschlingt das Fleisch, bevor das Blut abkühlt. Die Wärme und Lebendigkeit füllen ihren Magen, lassen ihre Seele aufleuchten, und sie hält inmitten des Blutbads inne, um ein Siegesheulen auszustoßen …
    Ich zuckte am ganzen Körper zusammen, als hätte ich davon geträumt zu fallen und wäre jäh aufgewacht. Keuchend atmete ich aus – ein Teil von mir befand sich immer noch in dem Traum, stürzte immer noch, und ich musste mich selbst ermahnen, dass ich mich in Sicherheit befand, dass ich nicht gleich auf dem Boden aufschlüge. Meine Hände schlossen sich reflexartig, doch da waren keine Decke oder ein Kissen, die ich packen konnte. Eine Handvoll abgestorbener Blätter vom letzten Herbst zerbröckelte in meinem Griff.
    Langsam setzte ich mich auf, kratzte mich am Kopf und strich mir die zerzausten blonden Haare zurück. Unter mir spürte ich den rauen Erdboden. Ich war nicht im Bett, ich
war nicht in dem Haus, in dem ich seit zwei Monaten wohnte. Ich lag in einer Mulde, die in die Erde gegraben war, bedeckt von Geröll aus dem Wald, im Schutz von ausladenden Kiefern. Außerhalb der Höhle lag an schattigen Stellen verkrusteter Schnee. Die Luft war kalt und beißend. Mein Atem gefror zu kleinen Wölkchen.
    Ich war nackt, und die Schicht, die meine Zähne bedeckte, schmeckte nach Blut.
    Verdammt. Ich hatte es schon wieder getan.
    Viele Leute träumen davon, auf dem Titelblatt einer überregionalen Zeitschrift zu landen. Es ist eines der Kennzeichen von Berühmtheit, Reichtum oder aber wenigstens von fünfzehn Minuten Ruhm. Viele Leute gelangen tatsächlich auf die Titelblätter landesweiter Zeitschriften. Die Frage ist nur: Findet man sich in einem Designerkleid auf dem Cover eines glamourösen Haute-Couture-Hochglanzmagazins wieder und sieht toll aus? Oder auf dem Cover von Time , verdreckt und völlig durcheinander, mit einer Schlagzeile, die lautet: »Ist dies das Gesicht eines Monsters?« und »Schweben SIE in Gefahr?«
    Es dürfte nicht schwer zu erraten sein, welches mein Titelbild war.
    Das Haus, das ich gemietet hatte – eher ein Häuschen, eine Ferienhütte mit zwei Zimmern, die durch eine unbefestigte Straße und Satellitenfernsehen mit der Zivilisation verbunden war –, lag so weit von der Stadt und der Straße entfernt, dass ich mir nicht die

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