Blutwelt
beiden Zähne – und hörte den wilden Schrei der Justine Cavallo hinter mir. Zugleich fiel der Schuss.
Nicht nur ich war davon überrascht worden, auch mein Freund Bill zuckte zusammen. Aber die Kugel traf keinen von uns. Sie erwischte auch nicht Dunja, sondern schlug irgendwo in die Wand oder in die Decke. So genau erkannte das keiner von uns.
Jedenfalls erfüllte der Schuss seinen Zweck, denn Dunja ließ mich los und drängte sich bis an die Wand zurück, wobei sie beinahe noch die Kerze umgerissen hätte.
»Du wirst dein Blut noch bekommen!«, flüsterte die Cavallo scharf. »Nur nicht sofort. Erst müssen andere Dinge erledigt werden. Aber du kannst in unserer Nähe bleiben.«
Dunja nickte. Sie hatte die Worte verstanden. Bill und ich nicht, doch wir konnten uns vorstellen, was die Cavallo gesagt hatte, weil Dunja entsprechend reagierte.
Sie nahm wieder ihren Platz an der Wand ein, und die Cavallo gab einen entsprechenden Kommentar. »Es war nur ein kleines Zwischenspiel, das uns nicht stören sollte. Eigentlich müsstet ihr mir dankbar sein, denn sie hätte euch bis zum letzten Tropfen ausgesaugt.«
»Ja«, sagte Bill. »Ich werde dir später mal ein Paket zum Dank schicken. Aber mit einer Bombe darin.«
Justine musste lachen. »Einfach super, Conolly. Deinen Humor hast du noch behalten, und das finde ich einfach stark, aber trotzdem wartet der Tod auf euch und danach das andere Leben.«
Sie hätte sich die Worte sparen können, und sie sagte auch nichts mehr, denn nach zwei weiteren Schritten standen wir an der Tür, hinter der die Wahrheit lag.
Ich merkte, wie mein Herz schneller schlug. Selbst im Kopf veränderten sich die Dinge. Ich spürte ein leichtes Dröhnen, als wären Glocken dabei, immer wieder gegen die Schädelwände zu klopfen. Das war wie ein böses Weihnachten, bei dem die Überraschungen tödlich sein konnten.
»Du zuerst, Sinclair!«
»Okay. Und was werde ich finden?«
»Du wirst ihn finden. Deinen Freund Marek. Ihr kennt euch schon so lange. Du darfst ihn begrüßen, und dein Freund Conolly kann zunächst zuschauen.«
»Verstanden.«
»Dann geh jetzt!«
Ich blickte nach unten und zugleich nach vorn, weil ich die Klinke sehen wollte.
Es gab sie. Sie hing etwas nach unten durch, doch sie war bestimmt okay.
Kaltes Metall!
Trotzdem spürte ich das Gegenteil. Ich bildete es mir ein, aber für mich war sie heiß wie Feuer, denn ich wusste, was hinter der Tür lag. Für mich würde es ein Gang in die Hölle werden, für den es keinen Vergleich gab. Vielleicht hatten mich ähnliche Gefühle durchweht, als ich in die Leichenhalle gegangen war, um von meinen toten Eltern Abschied zu nehmen, und hier würde es ein Freund sein, der auf schreckliche Art und Weise gestorben war.
Ich spürte das Gewicht des Pfahls in diesen Momenten besonders schwer. Ich hatte ihn in die linke Außentasche der Jacke gesteckt, aus der er mit der Spitze nach oben hervorragte.
Es gab nicht den Weg zurück, sondern nur den nach vorn. Und mit dieser Gewissheit stieß ich die Tür auf...
***
Ich bin ein Vampir! Man hat mich zu einem Blutsauger gemacht! Ich bin ein Vampir! Das Schlimmste, das man sich überhaupt vorstellen kann, ist mir widerfahren!
Es waren die Sätze, die Marek nicht schrie, die jedoch wie Schreie durch seinen Kopf zuckten, und er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er war völlig von der Rolle und schaffte es nicht mehr, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sich mit diesem Thema zu befassen, war für ihn unmöglich. Das brachte er einfach nicht fertig. Für ihn war die Welt zusammengebrochen. Seine schrecklichsten Vorstellungen hatten sich bewahrheitet, und er drehte von der Psyche her durch.
Er schrie innerlich. Er vergoss Tränen. Er kam sich vor, als würde er in seiner Kiste oder in seinem Sarg rotieren. Tatsächlich aber blieb er starr liegen und erlebte diesen mächtigen Orkan nur innerlich, wurde aber durch ihn aufgewühlt.
Nur in seinem Gesicht malte sich ab, was ihn quälte. Da war nichts Normales mehr zu sehen. Der Begriff Fratze traf in diesem Fall voll und ganz zu, und Marek hielt seinen Mund offen, doch all die Schreie, die in seinem Innern geboren wurden, schafften nicht den Weg nach draußen. So lag er da und erstickte fast daran.
ICH BIN EIN VAMPIR!
Dieser Wahnsinn war zur Tatsache geworden, und daran gab es nichts mehr zu rütteln.
Die Schwäche hielt ihn auch weiterhin umklammert, trotz seines neuen innerlichen Zustands. Er war nicht in der Lage, sich zu bewegen,
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