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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Melander
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zertrümmerten Möbeln drohte in den Flur zu fallen. Es sah aus, als hätte jemand ein Archiv durchwühlt, Schränke und Regale waren umgeworfen. In der Luft lag ein scharfer Geruch nach Chemie. Als er das Zimmer betrat, geriet er mit dem Fuß in eine Flüssigkeit. Er rutschte aus. Etwas Weiches, Zähes zerplatzte unter ihm. Auf dem Boden, unter den Trümmern, blinkte eine Taschenlampe. Der Strahl schnitt sich durch Tabellen, Papiere und Wasser, beleuchtete unzählige kleine Bälle, die auf dem Boden herumschwammen. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, was ihn da von unten anstarrte. Er bückte sich und hob einen dieser Bälle auf, der in der gelblichen Flüssigkeit lag. Ein Glasauge, graugrüne Iris, unregelmäßig in den Rundungen. Überraschend leicht. Ein Okularist?
    In dem Zimmer war niemand. Lars legte das Auge vorsichtig beiseite und ging wieder in den Flur. Schloss die Tür hinter sich. Eine fleckige, unregelmäßige Spur führte durch den Flur bis zu einer geschlossenen Tür zwischen der Treppe in den ersten Stock und einer Kommode. Blut. Lange horchte er mit einem Ohr an der Tür, bevor er sie öffnete. Eine tiefe und undurchdringliche Dunkelheit schlug ihm entgegen. Er tastete sich mit dem Fuß in den leeren Raum vor.
    Er hatte keine andere Wahl. Er zog die Maglite aus der Jackentasche und hielt die Arme ausgestreckt vor sich, übereinandergelegt; in der einen Hand die Maglite, in der andern seine Dienstwaffe. Er entsicherte die Pistole und schaltete die Taschenlampe ein. Trat auf die erste Stufe, verlagerte das Gewicht, hob das andere Bein, stieg auf die nächste Stufe. Muffige, feuchte Luft schlug ihm entgegen, vermischt mit dem süßlichen Gestank von Fäulnis und einem scharfen Geruch nach Chemikalien. Der Lichtkegel der Maglite tanzte vor ihm, zeigte abwechselnd die ausgetretenen Stufen einer Holztreppe, die irgendwann einmal rot lackiert gewesen war, und haufenweise altes Zeug, verstaubte Möbel und halb aufgelöste Pappkisten. Einige Gartengerätschaften. Und dort, auf dem Boden am Fuß der Treppe, fing der Lichtkegel mehrere unverwechselbare rote Flecken ein.
    Er hatte noch zwei Stufen vor sich, als die Treppe unter ihm verräterisch knarrte. Lars fluchte, übersprang die letzte Stufe und machte einen schnellen Schritt zur Seite. Aber es kam keine Reaktion. Die Stille schien noch dichter geworden zu sein, sie saugte jedes Geräusch auf. Die Maglite zeigte nichts als verwirrende Bruchstücke von altem Gerümpel. Er suchte und fand die Blutspur auf dem Boden, folgte ihr. Vor ihm öffnete sich ein großes Loch in der Wand, die Dunkelheit schluckte den Lichtkegel seiner Taschenlampe.
    Er duckte sich, tastete auf der anderen Seite, fand einen Schalter. Er atmete tief durch.
    Genau in diesem Moment setzte die Musik ein. Irgendwo tief unten schlangen sich zwei Klarinetten in langsamen Spiralen umeinander. Eine Frauenstimme fing an zu singen, ein Orchester setzte ein.
    »Polizei!«, brüllte er und schaltete das Licht ein.

53
    Søbredden hatte mit dem idyllischen Bild einer dänischen Villengegend aber auch gar nichts mehr gemein. Eine vibrierende blaue psychedelische Szene, dahinter grüne Hecken, weiße Streifenwagen und neugierige Gesichter. Uniformierte und zivile Beamte liefen in dem Menschenauflauf von Nachbarn und Journalisten umher.
    Die Einfahrt der Hausnummer 14 war blockiert. Die Schlange der Einsatzfahrzeuge zog sich bis in den Garten. Sanne hatte den Eindruck, dass niemand auch nur ansatzweise ahnte, was hier vor sich ging.
    Sie parkten vor einem MG -Cabriolet. Ulrik stieg aus und schnappte sich einen uniformierten Kollegen, der an der Bordsteinkante stand.
    »Wo ist der Einsatzleiter?«
    Sanne und Allan stiegen ebenfalls aus und betrachteten das Chaos. Aus den Gärten und Häusern strömten betrunkene Festgäste. Die Feuerplätze am See waren inzwischen vermutlich verwaist. Alle wollten etwas von der Show mitbekommen.
    »Äh, ich weiß nicht …«, erwiderte der Beamte.
    »Nein, das sehe ich.« Ulrik ließ den Polizisten stehen und ging über den Fußweg zur Einfahrt. Sanne und Allan folgten.
    Ulrik hatte den Wachhabenden angerufen, aber irgendetwas war bei der Kommunikation schiefgegangen. Mit so vielen Polizisten aus Kopenhagen und Gentofte war es unmöglich, sich auch nur einigermaßen einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
    »Es ist der Sandmann«, sagte Allan. Schnaufend lief er hinter Sanne her. »Jeder Kollege würde seinen rechten Arm geben, um dabei zu

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