Bob und wie er die Welt sieht
Big Issue verkauften, war Bob viel aktiver geworden. Ich hatte auch mehr Zeit, mich zu ihm auf den Boden zu setzen und mit ihm zu spielen. Daraus waren ein paar kleine Kunststücke entstanden.
Alles fing damit an, dass Bob den Alleinunterhalter mimte. Er war schon immer sehr verspielt gewesen, also hatte ich immer das eine oder andere Spielzeug aus seiner Sammlung für ihn im Rucksack. Er warf es hoch, schleuderte es weg und jagte ihm hinterher. Sein absolutes Lieblingsteil war ein kleines graues Mäuschen, das ursprünglich mit Katzenminze gefüllt gewesen war.
Aber die Nähte waren längst vom wilden Spielen aufgeplatzt, und übrig geblieben war ein zerfledderter, schmuddeliger kleiner Lappen. Als Maus war das Teil zwar auch grau gewesen, aber der klägliche Rest war mehr schmutzig als grau. Bob hatte wirklich jede Menge Spielzeug, fast alles Geschenke von seinen Bewunderern, aber mit der »Schmuddelmaus«, wie ich sie nannte, spielte er immer noch am liebsten.
Manchmal, wenn wir vor dem U-Bahnhof Angel saßen, trug er seine Schmuddelmaus stolz im Maul, als wäre sie eine ganz besonders wertvolle Trophäe. Mal schob er sie mit den Pfoten herum, dann packte er sie mit den Zähnen am Schwanz und schleuderte sie durch die Luft, sodass sie in hohem Bogen wegflog. Wie ein übermütiger Gaul galoppierte er dann hinterher, warf sich auf sie, und das ganze Spiel begann von Neuem. Bob war ein leidenschaftlicher Mäusejäger, und ich nehme an, das war seine tägliche Trainingseinheit. Mit dieser »Nummer« hielt er die Passanten auf, und ich habe Pendler erlebt, die täglich bis zu zehn Minuten selbstvergessen dastanden, nur um Bob beim Spielen zu beobachten.
Wenn nichts zu tun war, setzte ich mich zu ihm auf den Boden und spielte mit ihm. Anfangs übten wir Händeschütteln. Ich streckte meine Hand aus und Bob seine Pfote, um meine Hand festzuhalten. Wir wiederholten nur ein Spiel von zu Hause, aber unsere Zuschauer waren entzückt. Sie blieben stehen, um uns zuzusehen, und wir wurden oft fotografiert. Wenn ich für jeden Kommentar wie »Oh, wie süß« oder »Das ist ja hinreißend« – übrigens meist von weiblichen Passanten – ein Pfund bekommen hätte, würde ich schon lange nicht mehr auf der Straße herumsitzen.
Es gibt wahrlich schönere Dinge im Leben, als sich bei jedem Wetter draußen einen abzufrieren. Wie etwa mit Bob zu spielen. Dass wir dabei den Passanten ein Unterhaltungsprogramm boten, war zweitrangig. Mit Bob zusammen verging die Zeit einfach schneller, und die Arbeit machte mehr Spaß. Natürlich verkaufte ich dadurch auch mehr Zeitungen. Aber das war nur ein zusätzlicher Segen, den Bob mit sich brachte.
Wir verbrachten so viele Stunden vor dem Eingang der U-Bahn-Station Angel, dass wir unser Kunststück weiter ausbauten.
Bob war verrückt nach seinen Katzensnacks, und mir fiel auf, dass er jeden noch so extremen Aufwand betrieb, um an sie heranzukommen. Wenn ich so ein Kügelchen hoch über seinen Kopf hielt, stellte er sich auf seine Hinterbeine und versuchte, es mir mit einem gezielten Pfotenhieb aus der Hand zu schlagen. Dabei umfasste er zuerst mit beiden Vorderpfoten mein Handgelenk, um sich zu stabilisieren. Dann löste er eine Pfote und angelte damit nach seinem Snack. Unsere Kunden waren begeistert. Es muss mittlerweile Hunderte von Leuten geben, die mit Bildern von Bob auf ihren Handys und Kameras herumlaufen, wie er sich auf den Hinterbeinen zum Himmel streckt.
Aber wir haben dieses Kunststück noch weiterentwickelt. Sein Griff um mein Handgelenk war immer so fest wie ein Schraubstock. Also fing ich an, ihn langsam und vorsichtig hochzuheben, sodass er ein paar Zentimeter vom Boden abhob.
Meistens blieb er so ein paar Sekunden in der Luft hängen, bevor er entweder losließ oder ich ihn wieder sanft absetzte. Natürlich vergewisserte ich mich immer, dass er weich landen würde – meist auf meinem Rucksack.
Je besser unsere »Show« wurde, desto mehr Zuschauer blieben stehen und umso spendabler wurden sie – und das betraf nicht nur die höheren Verkaufszahlen unserer Zeitschrift The Big Issue.
Auf unserem Platz am U-Bahnhof Angel haben wir auf diese Weise viele nette Menschen kennengelernt. Sie haben Bob mit Snacks und Leckereien verwöhnt, und die meisten haben dabei auch mich nicht vergessen. Sogar Kleidungsstücke bekamen wir geschenkt; vieles davon war liebevolle Handarbeit.
Bob hatte schon eine ganze Sammlung von Schals in allen Farben und Mustern. Es waren so viele,
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