Bob und wie er die Welt sieht
aus und nicht umgekehrt. Als er mir eines Tages bis zur Bushaltestelle an der Tottenham High Road hinterhergeschlichen war, wurde mir klar, dass er sich für mich entschieden hatte. Obwohl wir fast zwei Kilometer von meiner Wohnung entfernt waren, musste ich ihn verscheuchen. Widerwillig verschwand er in der Menschenmenge, und ich war sicher, er würde nicht mehr zu mir nach Hause zurückfinden. Aber gerade als mein Bus losfahren wollte, tauchte er wie ein orangefarbener Pfeil aus dem Nichts wieder auf, sprang ins Businnere und fläzte sich wie selbstverständlich auf den Sitz neben mir. Und das war’s.
Seither sind wir unzertrennlich, zwei verlorene Seelen, die auf den Straßen von London ihren Lebensunterhalt zusammenkratzen.
Wir waren Seelenverwandte und halfen uns gegenseitig bei der Verarbeitung unserer schwierigen Vergangenheit. Bob bekam von mir Zuwendung, Futter und ein Dach über den Kopf, und dafür schenkte er mir neue Hoffnung und eine sinnvolle Aufgabe. Er bereicherte mein Leben mit Loyalität, Liebe und Spaß, aber auch mit einem Verantwortungsgefühl, das ich bisher nicht gekannt hatte. Durch ihn steckte ich mir wieder Ziele und sah die Welt mit anderen Augen.
Mehr als zehn Jahre meines Lebens war ich drogensüchtig und obdachlos gewesen. Mein Zuhause waren Toreinfahrten, Obdachlosenunterkünfte oder billige Absteigen in und um London. Meine Erinnerungen an diese verlorenen Jahre sind voller Lücken und schemenhafter Bilder. In einem Nebel der Gleichgültigkeit taumelte ich von einem Tag zum anderen. Das Heroin betäubte meine Einsamkeit und die Scham über mein klägliches Dasein.
Als Obdachloser war ich für die meisten Menschen unsichtbar. Und so vergaß ich mit der Zeit, wie man sich in der normalen Welt benimmt und vor allem, wie man mit seinen Mitmenschen umgeht. Ich war ein Seelenloser, für meine Umwelt so gut wie tot.
Aber mit Bobs Hilfe wurde ich langsam wieder lebendig. In großen Schritten bewältigte ich mein Drogenproblem, machte zuerst einen Heroinentzug und schaffte es auch, die Ersatzdroge Methadon abzusetzen. Noch nahm ich regelmäßig Medikamente, aber das Licht am Ende des Tunnels war bereits zu sehen. Schon bald würde ich ganz ohne Hilfsmittel auskommen.
Das war nicht ganz so einfach, wie es sich jetzt anhört. Einmal süchtig, immer gefährdet. Zwei Schritte vor, einen zurück. Dazu kam mein Arbeitsplatz auf der Straße. Nächstenliebe war dort ein Fremdwort. Ständig musste man auf der Hut sein, Ärger gab es reichlich, besonders für mich. Ich schien Probleme anzuziehen wie ein Magnet. So war das schon immer gewesen.
Ich wollte nicht ewig auf der Straße arbeiten. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie und ob ich das je schaffen würde, aber ich war zumindest wild entschlossen, es zu versuchen.
Aber für den Moment war ich zufrieden mit dem, was ich bisher erreicht hatte. Für die meisten Menschen war das vielleicht nicht viel. Ich hatte nie genug Geld, meine Wohnung war weder schick eingerichtet noch in bester Lage, und ich hatte kein Auto. Aber im Gegensatz zu früher hatte ich wieder einen Platz in der Gesellschaft. Ich hatte eine eigene Wohnung und meinen Job als Big Issue -Verkäufer. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich eine Perspektive – und ich hatte Bob. Auf seine Freundschaft und Hilfe auf unserem gemeinsamen Weg in die Zukunft konnte ich mich verlassen.
Ich stand auf, um früh ins Bett zu gehen. Vor meinem tief schlafenden Bob blieb ich kurz stehen und kraulte ihm sanft das Nackenfell.
»Wo wäre ich heute wohl ohne dich, mein kleiner Freund?«
2
Neue Kunststücke
W ir sind alle Gewohnheitstiere. Bob und ich sind da keine Ausnahme. Dazu gehört unser Morgenritual. Manche Leute brauchen das Radio, um wach zu werden, andere ihre Gymnastik, und die meisten brauchen eine Tasse Tee oder Kaffee. Bob und ich brauchen Zeit zum Spielen.
Sobald ich wach werde und mich im Bett aufsetze, schält sich auch Bob aus seinem Körbchen, das bei mir im Schlafzimmer steht. Gemächlich schlendert er zu mir herüber, setzt sich vor mich hin und starrt mich erwartungsvoll an. Wenn ich noch schlaftrunken vor mich hin starre, gibt er aufmunternde Laute von sich. Er klingt dann fast wie ein vibrierendes Mobiltelefon. Brrrrrr, brrrrrrr.
Beachte ich ihn dann immer noch nicht, wechselt er die Tonlage. Aus »miau« wird ein trauriges, flehendes »Uwäääääh«. Manchmal stützt er sich mit den Vorderpfoten auf der Matratze ab und streckt sich zu mir hoch, sodass seine
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