Bob und wie er die Welt sieht
jeder Journalist fragte mich, ob mich das Buch reich gemacht hätte. Die Antwort darauf war immer: »Ja und nein.« Im Verhältnis zu früher ging es mir jetzt verdammt gut. Aber ich war nicht über Nacht zum Millionär geworden. Für mich war wichtig, dass ich in nächster Zeit nicht mehr in die Verlegenheit kommen würde, die Regale im Supermarkt nach Sonderangeboten absuchen zu müssen, die das Ablaufdatum überschritten hatten. So viele Jahre war ich auf meinen Charme und minimale Sozialleistungen angewiesen gewesen. Jetzt hatte ich zum ersten Mal ein Bankkonto und sogar einen Steuerberater, der mir bei Rechnungen und bei der Steuererklärung half. In den letzten zehn Jahren hatte ich nie genug verdient, um Steuern zahlen zu müssen. Jetzt war ich ein echter Steuerzahler, und für mich war das ein wichtiger Schritt in die Normalität und damit auch zurück in die Gesellschaft.
Als Obdachloser oder The Big Issue -Verkäufer gibt man der Gesellschaft nichts zurück – und dafür wird man mit Verachtung bestraft. Vielen Leuten macht es sogar Spaß, einen damit zu beleidigen. »Such dir einen Job, du Schnorrer«, war eine der feineren Beschimpfungen, die ich mir zehn Jahre lang immer wieder anhören musste. Dadurch wird man immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Niemand versteht, dass genau dies der Grund für das fehlende Selbstvertrauen und die allgemeine Hoffnungslosigkeit ist, die man als Obdachloser, Straßenkünstler oder auch als Zeitungs -Verkäufer spürt. Jeder will dazugehören, aber wenn dich die Gesellschaft verstößt, steckst du in einem Teufelskreis, den man nicht mehr durchbrechen kann.
Alle meine Rechnungen selbst zu bezahlen war für mich der greifbare Beweis, dass ich endlich wieder »ein Mitglied der Gesellschaft« war. Und das war ein verdammt gutes Gefühl.
Der Erfolg des Buches hatte aber noch viel mehr positive Auswirkungen auf mein Leben.
Nicht zuletzt hat es das Verhältnis zu meinen Eltern verbessert. Auch mein Vater war am 13. März unter all den Menschen in der Waterstone-Buchhandlung. Ich hatte ihn dazu überredet, und er ist gekommen. Zum Teil aus Neugierde, aber auch, um mir den Rücken zu stärken. Ich werde seinen ungläubigen, aber auch hoch erfreuten Gesichtsausdruck beim Anblick der Menschenmassen in der Buchhandlung nie vergessen. Nach all den vielen Enttäuschungen gab es endlich etwas in meinem Leben, worauf er stolz sein konnte.
Er war gerührt, als man ihm die Passage in der Danksagung zeigte, in der ich meine Mutter und ihn erwähne. Angeblich waren seine Augen beim Lesen des Buches nicht trocken geblieben. Danach rief er mich an, um mir zu gratulieren, und seither hat er bei mehreren Gelegenheiten gesagt, dass er stolz auf mich ist. Er nervte mich zwar weiter, dass ich mir die Haare schneiden und mich rasieren solle, aber immerhin bedrängte er mich nicht weiter, mir »einen richtigen Job« zu suchen.
Über ungeklärte Gefühle aus vergangenen Tagen haben wir nicht geredet. Das war nicht sein Ding, er ist kein Freund von großen Aussprachen. Ich glaube schon, dass ich unser Verhältnis richtig einschätze, aber er hätte nichts davon in Worte fassen können. Das störte mich nicht weiter. Wichtig war nur zu wissen, dass er hinter mir stand.
Ich flog auch wieder nach Australien, um Zeit mit meiner Mutter zu verbringen. Natürlich hatte auch sie das Buch gelesen und geweint. Sie gab sich für vieles die Schuld, was in meiner Kindheit passiert war, hielt mir aber vor, dass ich als Teenager ein Albtraum gewesen war und damals wohl auch gegen die heiligste aller Mütter rebelliert hätte. Da musste ich ihr recht geben.
Wir waren offen und ehrlich zueinander und stellten dabei fest, dass wir von jetzt an Freunde sein konnten.
Ich hatte immer gehofft, mit dem Buch etwas bewirken zu können. Auch dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Es hat die Einstellung der Leute gegenüber den Big Issue -Verkäufern und Obdachlosen grundlegend geändert. Ich bekam Post von Schulen und Hilfsorganisationen, die sich bei mir bedankten, weil ihnen die Geschichte von mir und Bob geholfen hat, die Notlage der Obdachlosen besser zu verstehen.
Bob und ich waren auf Facebook und Twitter. Fast täglich schrieb uns jemand, dass er nun nicht mehr achtlos an den Big Issue -Verkäufern vorbeiging. Viele berichteten, dass sie sich jetzt Zeit für ein Gespräch mit ihnen nahmen. Auch wenn ich immer wieder meine Probleme mit der Big Issue -Verwaltung hatte, so bin ich darauf
Weitere Kostenlose Bücher