Bodenrausch
den automobilen Anfängen stecken.
Neben der Energielobby meldet sich neuerdings eine weitere Instanz zu Wort, die ebenfalls ihre Zukunft auf dem Acker sucht: Industrien, die vom Erdöl als Rohstoff abhängen, etwa die Kunststoffindustrie. Allein in Deutschland werden jährlich 20 Millionen Tonnen Plastik in Form gegossen, vom Fensterrahmen bis zum Putzeimer, ohne Kunststoff bräche die Zivilisation der Industriestaaten zusammen. Auch die chemische Industrie drängt auf ihren Anteil am Kuchen der nachwachsenden Rohstoffe, und auch ihr Hunger wird wachsen. 7
Fast geräuschlos hat sich diesem Trio der Landaufkäufer aus Finanzwirtschaft, Energie- und Chemischer Industrie eine vierte Kraft angeschlossen: der bisher als unverdächtig eingestufte Markt für Klimagase. Seine Akteure haben die Land- und Forstwirtschaft für sich entdeckt und suchen Neuland, um über Pflanzen Treibhausgase einzusammeln. Boden und Wald sollen als Helfer im Kampf gegen den Klimawandel eine bedeutende Rolle spielen. Spekulanten wittern darin einen neuen Wachstumsmarkt. Denn wer Boden besitzt, kann die Fähigkeit von Pflanzen, das Klimagas CO 2 in Blättern, Wurzeln und Stämmen zu binden, in Geld umwandeln. Er besitzt damit eine natürliche Bank für Klimagase, auf der er Klimazertifikate bunkern kann. Wertpapiere, die bei der Klimabörse in Geldwert umgewandelt werden können. Und der Wert steigt umso schneller, je höher die Latte der globalen Klimaziele hängt.
Der amerikanische Bauernverband versucht zurzeit, diese Idee in die holpernde Klimadebatte der USA einzuspeisen, und entfesselt damit einen zusätzlichen Run auf die Äcker des Mittleren Westens. Auch in Afrika, Asien und Südamerika ergattern findige Unternehmer mit fragwürdigen Aufforstungsaktionen Klimazertifikate und nähren damit ebenfalls den weltweiten Bodenrausch.
OFFSHORE-PARADIESE
Beim Kampf um lukrative Anbauflächen bleiben die genannten Marktteilnehmer nicht unter sich. Verschärft wird die Konkurrenz durch Länder, für die die Frage des Bodens eine Frage des Überlebens ist. Seit der Ernährungskrise 2008 versuchen die Politiker in den Getreidedefizit-Staaten, neues Land für die Volksernährung zu finden, jedenfalls die Staaten, die es sich leisten können. Zu den größten Käufern am Weltbodenmarkt gehört China. Das Land kann für seine Menschen nur noch ein Minimum an Boden bieten, und auch das ist in Gefahr durch die boomenden Städte, die ausufernde Industrie und die sich vom Norden her ausbreitenden Wüsten.
Nicht viel besser ist die Situation in Indien. Das Land kämpft mit Wassermangel und Überbevölkerung. Bis zur Mitte des Jahrhunderts muss es 700 Millionen Menschen zusätzlich ernähren. Was auf Indien noch zukommt, ist in Japan schon Alltag. Dort hat die Landwirtschaft zwischen Bergen und Meer kaum Platz, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Von 1965 bis 1998 stiegen die Nahrungsimporte von 27 auf 60 Prozent des nationalen Verzehrs. 8 Nur ein Bruchteil dessen, was in japanischen Supermärkten über die Kasse gezogen wird, stammt von japanischen Bauern. Das Industrieland Japan hängt damit mehr als jeder andere Industriestaat am Tropf der Weltagrarmärkte, der nukleare Supergau von Fukushima wird diese Lage noch einmal erheblich verschärfen.
Nicht anders ergeht es Südkorea. Die Importlücke des Industrielands wächst. Die Ursache liegt auch hier in einer Landwirtschaft, die sich der Industrialisierung widersetzt. Die Bauern wirtschaften auf Kleinsthöfen, noch nicht einmal so groß wie ein Fußballfeld. Maschinen lassen sich dort kaum einsetzen. Die Ernten reichen für die Bauerndörfer, aber keineswegs für die Versorgung der schnell wachsenden Städte.
Zu denen, die auf die Weltmärkte angewiesen sind, kommen die Golfstaaten, in denen die Wüste kaum Ackerbau zulässt. Das Wasser fehlt, außer im Fall von Schafen, Ziegen und Kamelen liegt die Viehzucht brach. Selbst Ägypten gelingt es nicht, aus dem Schwemmland des Nils genügend Weizen für die eigene Bevölkerung zu produzieren. Der Importbedarf liegt bei mehr als 50 Prozent. Trotz hoher Staatsverschuldung kauft das Land am Nil Neuland, um nicht weiter in die Abhängigkeit vom unberechenbaren Weltmarkt zu geraten.
Sowohl China als auch Indien, Japan ebenso wie Südkorea, die Ölstaaten und die Mittelmeeranrainer – alle versuchen, in Zukunft den Weltmarkt zu umgehen und ihr Getreide, ihren Zucker, ihre Speiseöle und im wachsenden Umfang auch ihre Agrotreibstoffe auf eigenen
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