Bodenrausch
Biokraftstoff stellt einen gewaltigen Puffer dar. Denn eigentlich ist er ein Projekt auf Abruf. Sein Einsatz hält weder ökologisch noch ökonomisch einer Nachhaltigkeitsprüfung stand. Das wissenschaftliche Komitee der Europäischen Umwelt Agentur (EEA) kam 2011 in einer Studie zu dem Schluss, Biosprit werde von seinen Befürwortern vor allem schöngerechnet. 5 Und dabei werde unter anderem eines übersehen: Das Aufforsten von Mooren mit Ölpalmen für Biodiesel setzt so viele Klimagase frei, dass es 423 Jahre dauern würde, diese Last durch den Einsatz von Biodiesel wieder auszugleichen. 6 Der Agrospritboom wird diesseits und jenseits des Atlantiks nur durch immense Subventionen in Gang gehalten. Sollten die USA und Europa jedoch ihre ehrgeizigen Pläne auf null zurückfahren, könnte das rund 58 Millionen Hektar Ackerland bis 2030 für die Produktion von Nahrungsmitteln freimachen. 7 Und mehr als 10 Milliarden US-Dollar jährlich für die Förderung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.
Wenn zusätzlich die Flächen wiederbelebt werden könnten, die durch falsche Bewirtschaftung verloren gingen, würde dies die stille Flächenreserve noch weiter vergrößern. An Methoden zur Bodenverbesserung mangelt es nicht. Terra Preta und Humus als Rückgrat der Bodenfruchtbarkeit bieten enorme Chancen, ebenso wie die Effektiven Mikroorganismen (EM). Und die Betriebe des biologischen Landbaus machen vor, wie sich Ökologie und Ökonomie wieder ins Lot bringen lassen. Durch gezielte Sanierung könnten rein rechnerisch mehr als 300 Millionen Hektar reaktiviert werden.
Insgesamt stehen damit mehr als zwei Drittel der Ackerflächen weltweit als stille Reserve zur Verfügung, um den Bodenrausch auszubremsen.
Das ist die Theorie, doch wie können wir sie in die Praxis überführen? Zunächst geht es darum, das rasante Tempo auf dem Weltbodenmarkt zu drosseln, damit sich die Lage nicht weiter zuspitzt. Ob dieses Bremsmanöver gelingen kann, ist jedoch in erster Linie eine Frage der Politik. Sie muss die Führung übernehmen und klare Signale gegen den Kampf um Land setzen. Was zwingend notwendig ist, lässt sich in sechs Punkte fassen:
Großflächige Land- und Börsengeschäfte, die darauf abzielen, mit Nahrungsmittelrohstoffen oder Land Spekulationsgewinne zu erzielen, müssen gestoppt werden. Dies erfordert eine internationale Konvention, die dem Handel mit Land verbindliche und einklagbare Regeln auferlegt. Maßstab muss der Nutzen sein, den Betroffene und die Allgemeinheit von den Bodengeschäften haben. Als Vorlage hierfür könnten die elf Grundsätze dienen, die Olivier De Schutter vorgeschlagen hat. 8
Unternehmen, die gegen diese Regeln verstoßen, müssen künftig von Regierungen und der Zivilgesellschaft öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden. Dies muss insbesondere für solche Unternehmen gelten, die von den Geldern der Entwicklungsetats profitieren.
Das Roden von Urwäldern, um Neuland zu gewinnen, sowie das Umpflügen von Mooren und Weideland muss gestoppt werden. Denn diese Eingriffe belasten das Weltklima langfristig mehr als alle anderen Praktiken der Weltlandwirtschaft und sind in menschlichen Zeiträumen nicht wieder gutzumachen.
Die Politik der Weltbank muss sich radikal ändern! Ihre Kreditmaschinerie übernimmt heute noch die Rolle des Brandbeschleunigers beim globalen Bodenrausch. Großprojekte, durch die Nahrungsmittel außer Landes gebracht werden, während Teile der Bevölkerung hungern, wie sie heute noch auf den Subventionslisten der Weltbank stehen, verdienen Ächtung, aber keine öffentliche Förderung durch die Weltgemeinschaft. Anstelle einer energieintensiven und bodenvernichtenden industriellen Landwirtschaft muss die Weltbank mit ihren Krediten den Aufbau einer klimaneutralen und robusten bäuerlichen Landwirtschaft vorantreiben. Denn nur diese kann die Ernährung in den Hungerländern mit schnell wachsender Bevölkerung nachhaltig sichern.
Entwicklungsgelder müssen künftig auf ihre Wirkung auf die Landverteilung und den Bodenmarkt hin überprüft werden. Immerhin stammen 60 Prozent der weltweiten Investitionen in die Entwicklungspolitik aus dem EU-Raum. Diese Mittel, so klagt der WBGU, werden »nicht hinreichend koordiniert« und »nicht hinreichend genutzt«. 9
Auch die europäische Agrarsubventionspolitik gehört auf den Prüfstand. Insgesamt wurden 2011 mehr als 50 Milliarden Euro in die europäische Landwirtschaft gesteckt, davon 717 Millionen Euro als Exportsubventionen, für
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