Bodenrausch
abwerfen, nicht mehr zahlen und gehen reihenweise bankrott. Europa hat seine Stellung als Nahrungsmittelexporteur aufgegeben, zugunsten einer hoch subventionierten Energieproduktion. So schlagen die Weltmarktpreise ab 2020 direkt auf den europäischen Binnenmarkt durch. Besonders Spanien, Italien und die Balkanstaaten, auch Südrussland, hängen am Tropf des Weltmarktes, weil der Klimawandel diese Regionen, wie vom Weltklimarat schon 2007 vorausgesagt, in einen Glutofen verwandelt hat.
Zusätzlich geraten die ehemaligen Wohlstandsländer durch ein Heer von Flüchtlingen aus den Armenhäusern Afrikas, Mittel- und Südamerikas sowie Asiens unter Druck. Rechtsradikale Kräfte gelangen auf einer Welle von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit an die Macht, der Norden bringt sich gegenüber dem Süden in Stellung. Der Boden für eine globale Machtprobe wird bereitet.
Noch ist dieses Szenario lediglich Fiktion, doch die Wahrscheinlichkeit steigt. Der Klimawandel verschärft die Lage. Hitzewellen und Kälteeinbrüche, Dürren und Sturzregen werden in Zukunft nicht mehr die Ausnahme, sondern der Regelfall sein. Und sie werden vor allem die Länder in Afrika und Asien treffen, die seit 2007 zu den Zielgebieten des großen Bodenrausches gehören. Länder, in denen die Bevölkerung, wie von der UN-Bevölkerungsagentur vorhergesagt, rasant wächst. In Äthiopien, im Sudan, in Kenia und Tansania, in Mosambik, im Kongo, in Sierra Leone und Ghana, in Mali, in Niger und im Senegal wird die Not der Menschen vorhersehbar zunehmen. Auch Südostasien, Laos, Kambodscha, die Philippinen werden durch eine wachsende Zahl von verarmten Bauern vor innere Zerreißproben gestellt werden. In Bolivien und Brasilien ist nicht auszuschließen, dass sich indigene Stämme den Getreide- und Sojalastwagen in den Weg stellen, die die Ernten von ihren ehemaligen Feldern abtransportieren. Wälder, die man in der Hoffnung auf renditestarke Klimazertifikate angepflanzt hat, könnten von einer darbenden Bevölkerung schon bald abgeholzt oder in Brand gesteckt werden. Die Mär vom ungenutzten, daher verkäuflichen Land wird unter der Realität des Klimawandels in sich zusammenbrechen. Waffengewalt könnte in Zukunft zum Alltag im Kampf um die Äcker der Welt gehören. Schon heute zeigen sich in vielen Ländern entsprechende Tendenzen, wie der Sozialpsychologe Harald Welzer in seinem Buch Klimakriege eindrucksvoll belegt. 4 Und auf die eigene Bevölkerung zu feuern, ist seit den Aufständen in Ägypten, Libyen und Syrien 2011 kein Tabu mehr.
Dass die derzeitige Weltagrar- und Bodenpolitik schon Ende des Jahrzehnts in einen Flächenbrand umschlagen könnte, erfordert keine Fantasie, sondern lediglich Einsicht in die fatale Logik des eingeschlagenen Weges. Doch er ist nicht »alternativlos«. Jenseits des düsteren Szenarios der Welternährung gibt es durchaus Lichtblicke.
DAS GROSSE BREMSMANÖVER
Fünf große Puffer hält das System der Welternährungs- und Landwirtschaft bereit. Diese »Big Five« wurden bisher von der Politik weder in ihrer Tragweite erkannt noch als politische Hebel in Betracht gezogen, sie stellen sozusagen weltpolitisches Neuland dar.
Allen gemeinsam ist, dass sie erheblichen Druck aus Boden- und Lebensmittelmärkten nehmen können, dass sie den Trend zunehmender Knappheit brechen, mehr noch, ein unglaubliches Potenzial von Nahrung und Boden erschließen und zusätzlich die globale Klimabilanz erheblich verbessern könnten.
Der größte Puffer liegt in der Nahrungskette selbst. Mehr als 50 Prozent der Nahrungsmittel erreichen auf dem Weg vom Acker zum Teller nicht ihr Ziel. Sie verfaulen auf den Feldern, verderben beim Transport, verkommen in den Kühltheken der Supermärkte oder in den Kühlschränken der Konsumenten. Ihr Schicksal wurde bisher ignoriert, weil es nie an Nachschub mangelte und der Preis kein Nachdenken lohnte. In der Kette der Welternährung bedeutet dies einen Puffer von mehr als 600 Millionen Hektar Anbaufläche.
Hinzu kommen die Flächen, auf denen heranreift, was heute in Fast-Food-Ketten und Convenience-Regalen Menschen dazu verführt, das Doppelte ihres Bedarfs zu essen. Sie machen theoretisch noch einmal 100 Millionen Hektar »Freiland« aus.
Wenn es darüber hinaus gelänge, den globalen Fleischkonsum auf dem heutigen Niveau zu halten, würde dies rein rechnerisch mehr als 200 Millionen Hektar freisetzen – Land, auf dem andernfalls Mastfutter angebaut werden müsste.
Auch der sogenannte
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