Bodin Lacht
können. Sie: Mund und Zunge sind uns geschenkt worden, damit wir an der Oberfläche atmen können, Hand und Schreibwerkzeug aber, damit wir ins Verborgene eintauchen, das Schlabbrige in uns in feste Worte fassen können. Er: Prima. Ich hatte mir schon gedacht, dass dein mündliches Delirium nicht ernst zu nehmen ist. Sie: Ich bin eine schillernde Figur und brauche mich nicht zu wundern, wenn Martin so geworden ist, wie er ist. Er: Halte dich bitte nicht für Gott, Mama.
Vielleicht war ihr Hang zum Künstlerischen eine Reaktion auf die Ungeschliffenheit ihres Mannes gewesen. In Martins Erinnerung trug sein Vater eine grüne Jägerkluft. Im Herbst überlieà er seine Geschäfte den Mitarbeitern und ging täglich auf die Jagd, er hätte es niemals entbehren wollen, das Hocken im bunten Laub, das Gewehr durch das knallrote Blattwerk der Ahorne. Das kann mir keiner wegnehmen, sagte er, als hätte jemand das vorgehabt. Die Grünröcke wissen nicht, dass sie töten, sagte die Mutter zornig, sie meinen, einem Naturgesetz zu gehorchen. Sie schieÃen ein Tier ab, sie legen es um, machen es hin, aber sie töten nicht. Denn: »Du sollst nicht töten«, steht in den zehn Geboten. Der Vater jagte, erlegte, er tötete nicht. Später hat er Martin mitgenommen, um ihn abzuhärten, um ihn aus seiner Bücherwelt, Farbenwelt, Musikwelt herauszureiÃen, endlos lang liefen sie durch Wiesen, Wald und Heide, das Kind bekam in den Gummistiefeln kalte FüÃe und nasse Beine von den langen feuchten Gräsern, sie lagen auf der Lauer, und der Papa schoss. Jeder Knall lieà Martin schaudern. Der Hund Domino holte die verletzten oder toten Enten und Hasen, es war ein Jammer, wie die Tiere mit dem hängenden Kopf und dem klebenden Blut dalagen, aber am Abend hat es auch Martin immer gut geschmeckt. Der Vater schoss, und an einem nebligen Novembertag traf er Domino. Dann ging er nie mehr zur Jagd. Erlegen war töten geworden.
Die Mutter versorgte die Gans so gut, wie sie mit leicht bebenden Händen konnte, sie befreite sie von der Nylonschnur, sie nahm den Haken heraus, versorgte die Wunde, während Martin das Tier hielt, das undankbare Laute ausstieÃ. Dann brachten sie Otta zum Teich und er dachte, sie würde wegfliegen, aber sie schien sich noch erholen zu wollen, oder es gefiel ihr im Garten der Mutter. Otta tauchte den Kopf ins Wasser und schaute zu, wie das Wasser sich wieder glättete.
Danach ging Martin zum Aquarium, um seine Anemonenfische zu betrachten. Weil er eine Diplomarbeit über die Lebensbedingungen der Anemonenfische schrieb, hatte er bei der Mutter ein wandlanges Aquarium installiert, wo sich in Symbiosenanemonen weiÃ-orange gestreifte Clownfische und einige andere tummeln konnten. Ein Whiskyglas in der Hand folgte ihm Paula auf dem FuÃ. Beide schauten auch gern den Clarks Anemonenfisch an, den sie Mutter Teresa nannten, weil sein weiÃ-bläulicher Ring oberhalb des Kopfes ihn wie eine Ordensschwester aussehen lieÃ, fand zumindest Paula. Ich passe auf sie auf, sagte seine Mutter, ich bin die Wächterin deiner Fische, es passiert ihnen nichts. Martin lächelte sie an und fühlte plötzlich, wie eine rosarote Liebeswolke um sie schwebte. Seine Mutter war Ende fünfzig und noch sehr attraktiv, auch wenn sie das Make-up schrill auftrug. Seit dem Tod seines Vaters kultivierte sie einen Farbenfimmel. Auf den Tischen und Regalen blühten bunte Orchideen und seltene Pflanzen, dicke BlumensträuÃe, Dahlien und Rosen, füllten die Vasen. Auch im Garten und sogar im Winter wuchsen Blumen, Hornveilchen nannte sie »Schmetterlinge des Winters«, Frühginster und Beete voller Alpenveilchen und Zaubernüsse trotzten der Kälte. Ihre Reaktion, grinste sie, auf eine schwarzgraue Umwelt. Die Leute tragen schwarz, wo du auch hinguckst, je mehr Kohle, desto schwärzer, oder sie werfen sich in anthrazitfarbene Schale, Trauer ist schick. Sie hatte die alten schwarz-weiÃen Kupferstiche seines Vaters auf den Dachboden verbannt und die weiÃen Wände in Schneefelder voller Klatschmohn, Orchideen und Butterblumen aus dem letzten Jahrhundert umgewandelt, Gemälde, die sie lang in verschiedenen Ausstellungen ausgesucht hatte, das konnte sie sich bei ihrem Vermögen leisten. Sie hing an Farben wie Seiltänzer am Trapez, sie hoben sie in eine höhere Welt, wo Materie etwas anderes bedeutet als nur Materie. Sie war eine
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