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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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haben, weil die Stümper ihnen auf die Nerven fielen. Ihre finanzielle Not zwang sie, diese mittelmäßigen Kleinbürger zu unterrichten, die aber zu einer krankmachenden Last wurden. Ja, er hatte die Ungeduld von Evelyn Gorda gespürt und sie dafür geliebt, dass sie ihren Überdruss im Zaum hielt, sein Geklimpere erduldete und ihm weiterhalf, ein Prélude einigermaßen sauber zu spielen, vorerst gut genug, um sich selbst und seine Mutter zu beglücken. Sie mochte ihn, sie mochte auch seine Mutter. Und jetzt saßen sie beide da, er und seine Mutter Paula, mit erschrockenen Augen, saßen sie vor dem Fernseher und trauten ihren Ohren und Augen nicht. Evelyn Gorda war tot, jemand hatte Evelyn Gorda umgebracht. Martin würgte es, er zeigte auf den Bildschirm, der kein Archivfoto von Evelyn mehr zeigte, sondern wieder ein Bild des Tatorts, eine kleine Bucht am See, ein Hin und Her aufgeregter Leute hinter einem weiß-roten Band, und beide erkannten sofort die Gegend in der Nähe der Villa, dreihundert Meter entfernt von der Stelle, wo Martin vor ein paar Stunden die Wildgänse beobachtet hatte. Seine Mutter stöhnte, kreideweiß richtete sie den beringten Finger auf den Bildschirm und sagte, was man bei solchen Gelegenheiten immer sagt: Das darf nicht wahr sein. Seine flüchtige Hoffnung, er hätte Halluzinationen gehabt, zerbrach. Ja, sie hatten es beide gehört: Evelyn Gorda war tot am See oder im See aufgefunden worden, mit einem Jagdgewehr getötet, nahmen sie beide spontan an, es wurde aber nicht gesagt, nur dass ein Mord nicht auszuschließen war.
    Dann liefen die nationalen und internationalen und irrationalen Nachrichten, der Wahnsinn war grenzenlos, die Welt überwarf sich, explodierte, es war ihnen egal, sie hatten nicht die Energie, aufzustehen und das Gerät abzuschalten. Paula fragte mit gealterter Stimme, warum Merkel noch lebte, wenn Evelyn Gorda tot war. Evelyn Gorda: Die Person, die sie liebten, verschwand jetzt hinter ihrem Namen wie Allee und Schloss hinter einem Gittertor. Sie hielten sich am Gitter fest. Evelyn Gorda. Sie verfluchten die Staatschefs, die in die Kameras lächelten, ohne hören zu können, um welchen Gipfel es ging. Wie schnuppe ihnen die Welt und ihre Statisten waren, wenn Evelyn Gorda nie mehr Klavier spielen würde. Und Paula machte endlich das Richtige, sie drückte auf den roten Knopf und ging in die Küche, zündete den Gasherd an, um die Suppe warm zu machen. Sie rührte die Suppe mit einem Löffel um und entschied: Evelyn Gorda kann nicht tot sein. Es ist ein Missverständnis, eine Verwechslung. Eine Nutte hat ihre Papiere geklaut. Draußen war ein Schauer hereingebrochen, im Licht der Laterne sah Martin ein Eichhörnchen am Fuß der Zeder, es hielt das Köpfchen hoch, als mäße es die lange Strecke, die es bis zum Gipfel zu erklimmen hatte. Wieso war es nachts noch nicht in seinem Kobel? Otta war nicht mehr zu sehen. Wir müssen etwas tun, sagte Paula, wir müssen mehr erfahren. Was hat sie am See gemacht?, fragte Martin, sie wollte vielleicht zu uns, ich meine zu dir, ich hatte keinen Unterricht bei ihr. Keine Ahnung, Martin, geh zur Polizei, sagte die Mutter, und erzähle von dem Schuss, den du gehört hast, vielleicht würde eine genauere Uhrzeit ihnen helfen, den Mörder zu finden. Es ist Jagdzeit, sagte er, wahrscheinlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Ganz im Gegenteil, so seine Mutter, wenn ich jemanden liquidieren möchte, dann in der Jagdzeit, da fällt ein Schuss mehr oder weniger nicht auf. Es war sicher ein Unfall, Mama, die Polizei wird ohne mich darauf kommen, dass Jagdzeit ist, und dass Evelyn nicht absichtlich erschossen worden ist. Wer könnte Evelyn böswillig erschießen, das ist doch absurd. Vielleicht doch, stöhnte seine Mutter und ließ ihre Tränen fließen, ach Gott. Er wollte sie umarmen, schon aber fing sie sich und warf ihm wieder aggressiv vor: Evelyn war eine reizende Frau, die du hättest heiraten können, wenn du ein echter Mann wärst. Er riss seine Jacke vom Garderobenständer: Mama, wenn man mit lauter »wenn« Welt und Menschen frisch bepinseln könnte, würdest du auch eine andere Mutter abgeben. Ich gehe nicht zur Polizei, wenn du verstehst, was ich denke. Dass du denkst, ist mir neu, sagte Paula, und was denkt mein Töchterchen? Sie denkt, dass dein Sohn der Schüler der Frau Gorda war, dass er

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