Bodin Lacht
Frau, die in der Welt der schönen Dingen lebte, und doch hob sie sich daraus empor, wie ein Windsurfer plötzlich aus einer hohen Welle auftaucht, um den Himmel zu berühren. Ihr Farbenfimmel ist ihr Schildchen gegen den Tod, sagte Bodin.
An diesem Tag trug sie einen weiÃ-orangen Pulli, der Martin stark an seine gestreiften Clownfische erinnerte und der mit dem roten Haar und den orange lackierten Nägeln harmonierte. Er traute sich nicht sofort wegzugehen und schlug ihr ein Kartenspiel oder eine Partie Scrabble vor, ihr Lieblingsspiel. Sie hatte einen zehnbändigen Duden im Kopf, jedes Wort abrufbereit. Er spielte gern mit ihr und trumpfte manchmal mit Wörtern aus dem Biologie-Fachjargon auf, was sie als unfair betrachtete. Sie tranken Tee und Whisky, hörten zerstreut klassische Musik und konzentrierten sich auf das Spiel. Sie lieÃen die unangenehmen Themen jetzt unausgesprochen, wohl wissend, dass diese wie unsichtbare Jagdhunde im Zimmer lauerten, aber sie wollten beide noch eine Weile friedlich zusammengehören, Mutter und Sohn, was Paula nicht daran hinderte, den Sohn mit ihren obsessiven Wörtern zu traktieren, mit Zwitter und sogar mit bisexuell hatte sie öfter ganz schön gepunktet, ihren geheimen Traum aber, die notwendigen Buchstaben für Hermaphrodit zusammenzubekommen, konnte sie sich noch nicht erfüllen. Nach dem Spiel bat sie ihn, ihr den türkischen Marsch von Mozart vorzuspielen, das einzige Stück, das er gut spielen konnte, danach versuchten sich beide an einer vierhändigen Chopin-Sonate. Sie schwebten in einer talentlosen, aber humorvollen Harmonie. Ein unmusikalischer Mensch hätte dieses vierhändige Spiel von Mutter und Sohn sicher entzückend gefunden und erleichtert festgestellt, dass unsere heute so komplizierte Welt doch noch manchmal in Ordnung war. So liehen sie sich das Ohr von unmusikalischen Zuschauern, um sich aus deren Sicht zu bewundern. Dann lud die Mutter den Sohn zum Abendessen ein, einem Kunterbunt aus Sellerie-Creme, Kaviar und wildem Lachs. Das Hormonzeug aus dem Kaufhaus ist nichts für dich, mein Sohn, oder bist du heute meine Tochter. Ein Vielerlei aus Salaten und Obst. Wir machen es uns schön, Martin. Und weil er keine Lust auf sein Einerlei-Essen (Wurstbrot) hatte und weil sie noch kurz ihre Finger auf seine legte und ihn die ersten Altersflecken auf dieser gut manikürten Hand rührten, schauten sie zuerst die Nachrichten des Lokalsenders an. Sie tranken zusammen einen Whisky und hörten den Sprecher, der von dem Entenflug erzählte (die Bilder, die gezeigt wurden, waren nur eine blasse Kopie von dem, was Martin mit eigenen Augen bewundert hatte), von den Neuheiten einer digitalen Messe, von einer Demo von Rechtsextremen, die die Mutter mit schwerer Zunge kommentierte. Der Sprecher beklagte jetzt die Ausbreitung einer Magen-Darm-Infektion, kündigte dann die Eröffnung einer Schuldnerberatung an, er schloss die Augen, lieà die Bilder ohne sein Zutun vorbeimarschieren und genoss innerlich schnurrend die mollige Wärme im Zimmer und die Ruhe seiner Mutter, als ihr Schrei ihn bis in die Knochen traf: Schau hin! Er saà auf einmal wieder kerzengerade, schaute hin und erkannte die Ufer des Blausees und, nicht deutlich zu sehen, im Hintergrund ein Tuch über einem Körper, Polizisten. Der Sprecher hustete und entschuldigte sich dafür, um sie mit lädierter Stimme zu informieren, dass er soeben eine tragische Nachricht erhalten habe: Eine junge Frau, eine bekannte Musikerin der Stadt, war auf der Heide am Ufer des Blausees tot aufgefunden worden. Ein Gewaltverbrechen konnte nicht ausgeschlossen werden, zu mehr Einzelheiten wolle sich Herr Hauptkommissar Christoph Angler aus Ermittlungsgründen verständlicherweise nicht äuÃern. Es folgte eine Aufnahme des Polizisten, der anscheinend den Kameras abwinkte, man erblickte wieder den See und die zugedeckte Leiche, und es wurde ein Foto eingeblendet: Evelyn Gorda im Konzert.
FELD 5: LILIANE HOFFMANN UND
DIE SEETOTE
[Ophelia]
Die toten Augen starren groà und blind
Zum Himmel, der voll rosa Wolken ist
G EORG H EYM,
Die Tote im Wasser
Als die junge Polizistin Liliane Hoffmann beim Anblick der Seetoten erschrak, spürte sie, dass diese Leiche sie nicht mehr loslassen würde. Ihr Handy ist weg, aber ihre Papiere stecken in ihrer Jacke, sagte Angler, eine Musikerin, der Name sagt mir was, stand öfter in der Zeitung. Liliane hatte von
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