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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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der Pianistin nie gehört, ihre eigenen Eltern hatten mit klassischer Musik nichts am Hut, und auch später wäre sie nicht auf die Idee gekommen, einen Konzertsaal zu betreten. Da war ein eiliger Mörder am Werk, sagte Angler, die Klamotten überall verstreut, die Leiche so nahe am Ufer. Eine Pianistin, echote der nickende Jurek mit ernster Miene (wie dieses Nicken des Praktikanten Liliane nervte; es erinnerte sie an ein Karussellpferdchen, das stets seine Runden mit wiegendem Haupt drehte). Pianisten, plapperte Jurek, haben lange Finger und schöne Hände, das sieht man auch bei ihr. Er schaute zu Liliane, seine Bemerkung erfüllte ihn sichtlich mit Stolz. Liliane wiederholte leicht spöttisch: So. Lange Finger. Sie hatte selbst nie ein Instrument gespielt, nur die Blockflöte in der Schule, ein groteskes Instrument. Der Psychotherapeut, den sie eine Zeit lang konsultiert hatte, deutete, klar, ihre Abneigung gegen die Flöte sexuell, obwohl diese Abneigung aus der Grundschule stammte, also lange vor ihrem Trauma. Man hatte das Tuch weggerafft, und Liliane schaute erschüttert zu. Natürlich war die Schönheit der jungen Toten beeindruckend (die Frau trug nur einen schwarzen Push-up- BH ), trotz der blauen Farbe des Gesichts und der Lippen, trotz der Blässe des geschundenen Körpers, trotz des vom grünen Schlamm verschmutzten Haars. Die makabere Schönheit des Mädchens in der melancholischen Seelandschaft genügte aber nicht, um Lilianes Erschütterung zu erklären. Und auch nicht der Zustand der Leiche (das Würgemal und verschiedene Gewaltspuren am Bauch und an den Gliedern). Ja, es war jedes Mal ein Schock, jedes Mal Entrüstung, Trauer, Wut, Ekel, Rachelust, heute aber brachte sie der Blick von Andreas Moser auf die Tote in Aufruhr. Der interessierte Blick des Kollegen zeugte nicht nur von professionellem Interesse. Es blinzelte ein Fünkchen Bösartigkeit oder Genugtuung darin, und sie erwartete, dass er eine Nutte weniger sagte, oder Ähnliches, was er sich aber vor dem Chef Christoph Angler verkniff. Eine Musikerin, sagte auch er, skeptisch. Wenn auch niemand die Frau vor ihrem Angreifer hatte schützen können, dann wollte Liliane sie wenigstens vor Andreas’ Blick schützen, dem Arschloch, das die zerstreuten Klamotten der Toten nacheinander mit den Spitzen seiner Latexfinger aufhob, das schwarze Höschen in Augenhöhe hielt, umdrehte und schief lächelnd in eine Plastiktüte verfrachtete. Eine Pianistin also, wiederholte er, ah-ah. Wie hohl und schmutzig ein Ah-ah in dem Mund dieses Manns klingen kann, dachte Liliane. Sie kannte persönlich keine Pianisten, aber sie dachte, wären die Menschen Noten, dann wäre Andreas ein schräger Ton.

FELD 6: EIN ROTHAARIGER ENGEL
    Aber Lebendige machen alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden. Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter Lebenden gehn oder Toten.
    R AINER M ARIA R ILKE,
Duineser Elegien I, 80–83
    Er hatte als Kind Klavier spielen gelernt und konnte schon damals den Türkischen Marsch von Mozart passabel herunterrasseln, bis er mit vierzehn wie alle seine Freunde elektrische Gitarre und Hardrock spielen wollte. Vor einigen Monaten aber hatte ihn eine tiefe Nostalgie nach klassischer Musik – Mozart, Chopin – ergriffen. Zur Freude seiner Mutter nahm er wieder Unterricht in ihrem Haus, denn in seine kleine Wohnung passte kein Klavier. Evelyn Gorda war zwei Jahre jünger als er und hatte sich zumindest lokal einen Namen als Konzertpianistin und Sängerin gemacht. Sie gab selten Unterricht, und ohne seine betuchte Mutter hätte er sich diese Stunden nicht leisten können. Evelyn war ein rothaariger Engel, eine begnadete Künstlerin, in poetische Kleider gehüllt, ihre milchige Haut war von Sommersprossen übersät, ein lächelnder Mensch, der Martins Neigung zur abendlichen Mutation schnell erkannt hatte und ihm sogar, nach einem Gespräch unter vier Augen, zwei ihrer langen Kleider geschenkt hatte. Als Klavierlehrerin hatte sie nur mäßig Geduld und litt unter seinen falschen Tönen, dem Mangel an Rhythmus und der Schludrigkeit seines Spiels, schlechte Musik war für sie ein Gräuel, und er spürte ihre Lust, aufzuschreien, ihm auf die Finger zu schlagen, wenn er sich verspielte. Es ist viel gesagt und geschrieben worden über böse Klavierlehrerinnen, die ihre Schüler von ihrem Klimpern abgebracht

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