Bodyfinder - Das Echo der Toten
auszusehen, als sie Jays Blick erwiderte. »Wahnsinn«, war alles, was sie über die Lippen brachte.
»Ich weiß.« Jay schien genauso überrascht zu sein wie sie. »Sie muss ihn mir in der ersten Stunde ins Fach gesteckt haben.«
»Rufst du sie an?«, fragte Violet so beiläufig wie möglich. Konnte nicht alles wieder so sein wie früher? Dann wäre es ihr egal, ob er dieses Mädchen anrief oder nicht. Dann würde sie ihn jetzt ausquetschen, um alles bis ins kleinste Detail zu erfahren, bis sie plötzlich vom Thema abkommen und über etwas lachen würden, was nur sie beide verstanden.
Aber so einfach war das jetzt nicht mehr. Als sie ihm den Zettel zurückgab, fühlte sie sich schrecklich niedergeschlagen.
Ehe Jay ihr antworten konnte, klingelte es und die Lehrerin kam herein. Jay nahm den Zettel und steckte ihn in seinen Ordner.
In den nächsten fünfundvierzig Minuten standen Sinus und Kosinus auf dem Stundenplan, aber Violets Gedanken schweiften immer wieder ab. Sie musste einen Weg finden, ihre Gefühle für Jay zurück in geordnete Bahnen zu lenken. Und zwar bald. Denn wenn nicht, wenn sie diesen Virus nicht besiegte, würde er womöglich ihre Freundschaft infizieren. Das durfte sie einfach nicht zulassen.
Es ging hier um Jay. Er war der großartigste Mensch, den sie kannte, und die Vorstellung, ihn womöglich zu verlieren, war unerträglich.
Sie tat so, als ob sie zur Uhr an der Wand über der Tür schaute. Stattdessen warf sie verstohlen einen Blickin seine Richtung. Er war voll auf den Unterricht konzentriert und machte sich eifrig Notizen in sein Heft.
Gut, dass wenigstens einer von ihnen aufpasste. Und gut, dass Jay keine Ahnung hatte, dass sie nur seinetwegen kein einziges Wort von der Mathestunde mitbekam.
Nach dem Läuten zur Mittagspause blieb Violet länger im Klassenraum sitzen, angeblich um Hausaufgaben zu machen, die in Wahrheit erst zur nächsten Woche fällig waren. Sie musste zwischen Jay und sich etwas Abstand bringen. Fast zwanzig Minuten länger harrte sie dort aus. Dann ging sie zur Toilette, wo sie sich in aller Ruhe die Hände wusch, ihren Pferdeschwanz neu band, was jedoch keine Verbesserung brachte, und sich anschließend wieder die Hände wusch.
Während sie überlegte, was sie noch tun könnte, um die Zeit totzuschlagen, kam ihre Freundin Chelsea herein. Erleichtert atmete Violet auf. Endlich jemand, mit dem sie sprechen konnte.
»Wo hast du denn gesteckt?«, fragte Chelsea. »Jay hat dich überall gesucht.« Sie stellte sich vor den Spiegel, kämmte ihre Haare und frischte ihr Make-up auf.
Genau wie Jay hatte sich auch Chelsea in diesem Sommer verändert. Es schien, als hätte sie über Nacht ihre Weiblichkeit entdeckt. Chelsea war immer wild und sportlich gewesen. Aber nun hatte sie gemerkt, dass esnoch mehr im Leben gab, als einen Volleyball in das gegnerische Feld zu schmettern oder beim Softball einen perfekten Wurf zu machen.
Chelsea hatte eine glatte dunkle Mähne, die nur so schimmerte, wenn das Sonnenlicht darauf schien, ganz besonders jetzt mit den feinen blonden Strähnchen, die sie sich in das kastanienbraune Haar hatte färben lassen. Sie sah aus, als hätte sie den Sommer an einem kalifornischen Strand verbracht und nicht auf dem Softballfeld.
Violet mochte Chelseas direkte Art, war bisweilen sogar ein bisschen neidisch darauf, auch wenn sie in manchen Situation gut darauf verzichten konnte.
Wie jetzt gerade.
»Und?«, fragte Chelsea, als Violet keine Antwort gab. »Der Junge funktioniert ohne dich einfach nicht, nicht mal beim Essen.«
Violet zuckte zusammen und schaute schnell in den Spiegel. Zum Glück hatte Chelsea ihre Reaktion nicht bemerkt. Zu sehr war sie damit beschäftigt, die Augenwinkel mit dem kleinen Finger auszuwischen, um sicherzugehen, dass der Eyeliner nicht verschmiert war.
»Der kommt schon klar«, antwortete Violet. »Er findet bestimmt eine andere, die mit ihm isst.«
Chelsea blickte auf und sah Violet mit gerunzelter Stirn an. »Ist ja auch egal. Er wartet jedenfalls draußen im Flur. Er hat mich gebeten, hier nach dir zu suchen.«
Violet verdrehte die Augen. Womöglich war Chelsea die Einzige in der Schule, die nicht mitbekommen hatte, wie Jay sich verändert hatte, vielleicht weil sie zu sehr mit ihrer eigenen Verwandlung beschäftigt war.
Als Violet sich nicht rührte, packte Chelsea sie am Arm und zog sie zur Tür. »Los, bevor er den Hungertod stirbt.«
Violet lachte. »Na gut, na gut.«
Als sie aus der Mädchentoilette
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