Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
offensichtlich peinlich war, den Diener zum zweiten Mal zu rufen und ihm etwas aufzutragen. Übrigens bot er dem Gast von sich aus eine kleine Erfrischung an und war sichtlich erleichtert, als dieser dankte und sich endlich verabschiedete. Lembke stand schlicht und einfach am Anfang seiner Karriere und war bei dem General, seinem Stammesgenossen, aber hochangesehenen Militär, untergeschlüpft.
Er himmelte damals die fünfte Tochter des Generals an, und seine Liebe wurde anscheinend erwidert. Aber Amalie wurde trotzdem, als die Zeit gekommen war, mit einem alten deutschen Fabrikanten verheiratet, einem alten Freund des alten Generals. Andrej Antonowitsch weinte nicht lange, sondern fertigte ein Papiertheater an. Der Vorhang hob sich, die Schauspieler traten auf die Bühne und gestikulierten; in den Logen saß das Publikum, das Orchester strich dank einer Mechanik mit den Bögen die Geigen, der Kapellmeister schwenkte das Taktstöckchen, und im Parkett klatschten Kavaliere und Offiziere Beifall. Alles war aus Papier, alles war von Herrn von Lembke ausgedacht und ausgeführt; er hatte ein halbes Jahr über diesem Theater gesessen. Der General veranstaltete aus diesem Anlaß eine kleine Abendgesellschaft, das Theater wurde geholt und vorgeführt, alle fünf Generalstöchter, auch die neuvermählte Amalie und ihr Fabrikant, wie auch zahlreiche junge und reifere Damen nebst ihren Deutschen betrachteten das Theater; darauf wurde getanzt. Lembke war höchst zufrieden und bald getröstet.
Die Jahre vergingen, und er machte Karriere. Immer hatte er aussichtsreiche Posten inne, immer waren seine Vorgesetzten auch seine Stammesgenossen, und er hatte es zu einem für seine Jahre recht bedeutenden Rang gebracht. Schon lange hegte er den Wunsch, sich zu verehelichen, und schon lange hatte er behutsam Umschau gehalten. Heimlich, hinter dem Rücken seiner Vorgesetzten, schickte er eine Erzählung an die Redaktion einer Zeitschrift, aber sie wurde nicht gedruckt. Dafür klebte er einen ganzen Eisenbahnzug zusammen und brachte damit wieder einmal etwas ganz Reizendes zustande: Das Publikum trat aus dem Bahnhof heraus, mit Koffern und Sacs-de-voyage, mit Kindern und Hündchen, und stieg in die Waggons. Die Schaffner und die Dienstleute gingen auf und ab, die Glocke läutete zur Abfahrt, das Signal ertönte, und der Zug setzte sich in Bewegung. Über diesem raffinierten Kunststück saß er ein ganzes Jahr. Aber, wie auch immer, heiraten mußte er doch. Sein Bekanntenkreis war ziemlich groß, jedoch vorwiegend auf die deutsche Welt beschränkt; zu den russischen Sphären hatte er natürlich nur über seine Vorgesetzten Zugang. Endlich, er war bereits achtunddreißig, kam er in den Genuß einer Erbschaft. Sein Onkel, der Bäcker, war gestorben und hatte ihm testamentarisch dreizehntausend Rubel vermacht. Nun ging es um den entsprechenden Posten. Herr von Lembke war, ungeachtet seiner ziemlich hohen Stellung innerhalb der dienstlichen Sphäre, ein sehr bescheidener Mensch. Er hätte sich gut und gern mit einem selbständigen Pöstchen begnügt, wo er über die Lieferung von Brennholz oder irgend etwas Angenehmes dieser Art verfügen dürfte, und zwar bis ans Ende seiner Tage. Aber da tauchte statt einer erwarteten Minna oder Ernestine plötzlich Julija Michajlowna auf. Für seine Karriere bedeutete das einen Schritt nach oben. Der bescheidene und gewissenhafte von Lembke fühlte, daß auch ihm Ehrgeiz nicht ganz fremd wäre.
Julija Michajlowna besaß nach alter Rechnung zweihundert Seelen, und außerdem brachte sie in die Ehe große Protektionen mit. Andererseits war von Lembke ein schöner Mann, sie aber bereits über vierzig. Es ist bemerkenswert, daß er sich nach und nach wirklich in sie verliebte, im selben Maße, wie er sich mit der Rolle eines Bräutigams identifizierte. Am Hochzeitstag schickte er ihr in der Frühe ein Gedicht. Es gefiel ihr sehr: Vierzig Jahre sind eben doch kein Spaß. Bald darauf wurde er befördert, erhielt einen Orden und wurde anschließend in unser Gouvernement versetzt.
Darauf, noch bevor sie bei uns eintrafen, hatte Julija Michajlowna an ihrem Gatten sorgfältig gearbeitet. Er war, ihrer Meinung nach, nicht ohne Fähigkeiten, er konnte eindrucksvoll auftreten und sich ins Licht setzen, er konnte tiefsinnig zuhören und Schweigen bewahren, er hatte einige durchaus wirkungsvolle Gesten angenommen, war in der Lage, sogar eine Rede zu halten, zeigte sogar einige Ansätze und Restchen von Gedanken und einen
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