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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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sämtlicher Mitglieder jederzeit überall und unter welchen Umständen auch immer fortbesteht. Andrej Antonowitsch war die Ehre zuteil geworden, in einer jener russischen höheren Bildungsanstalten erzogen zu werden, deren Zöglinge den mit Beziehungen oder Reichtum gesegneten Familien entstammen. Absolventen dieser Bildungsanstalten wurden fast unmittelbar nach dem Abschluß ihrer Studien mit ziemlich bedeutenden Ämtern in einer der Sparten des Staatsdienstes betraut. Ein Onkel Andrej Antonowitschs war Ingenieur-Oberstleutnant, ein anderer Bäcker; er selbst hatte den Sprung in die Hochschule geschafft und dort ziemlich ähnliche Stammesgenossen angetroffen. Er war ein lustiger Kamerad; das Lernen fiel ihm nicht leicht, aber man hatte ihn allgemein gern. Und als viele Mitschüler, bereits in den höheren Klassen, vorwiegend Russen, so weit waren, daß sie höhere zeitgenössische Probleme diskutierten, mit einer Miene, als warteten sie nur darauf, entlassen zu werden und alles mit einem Schlag zu lösen – erfreute sich Andrej Antonowitsch nach wie vor an den unschuldigsten Schulbubenstreichen. Er brachte alle zum Lachen, allerdings mit Späßen, die in höchstem Maße anspruchslos waren, bestenfalls zynisch, aber er betrachtete das als seine Bestimmung. Bald schneuzte er sich auffällig, wenn der Lehrer in der Stunde eine Frage an ihn richtete, womit er sowohl die Kameraden als auch den Lehrer zum Lachen brachte; bald führte er im Schlafsaal zynische lebende Bilder vor, allein, unter allgemeinem Beifall; bald brachte er, nur mit Hilfe der eigenen Nase (und zwar ziemlich geschickt), die Ouvertüre zu »Fra Diavolo« zu Gehör. Außerdem zeichnete er sich durch überlegte Nachlässigkeit in der Kleidung aus, was er aus irgendeinem Grunde für das Merkmal eines klugen Kopfes hielt. Im allerletzten Schuljahr begann er, russische Gedichte zu schreiben. In seiner eigentlichen Muttersprache, der Sprache seines Stammes, verfügte er über keinerlei grammatische Kenntnisse, wie viele seines Stammes in Rußland. Diese Vorliebe für Gedichte führte ihn mit einem düsteren und irgendwie gehemmten Mitschüler zusammen, dem Sohn eines mittellosen Generals russischer Abstammung, der in der Anstalt für einen großen künftigen Literaten gehalten wurde. Dieser behandelte ihn gönnerhaft. Aber es sollte so kommen, daß nach dem Schulabschluß, drei Jahre später, dieser düstere Mitschüler, der seine Beamtenlaufbahn zugunsten der russischen Literatur aufgegeben hatte und demzufolge bereits auf durchgelaufenen Sohlen, zähneklappernd vor Kälte, in einem Sommerpaletot im Spätherbst herumstolzierte, plötzlich vor der Anitschkow-Brücke zufällig seinem einstigen Protegé »Lembka«, wie dieser, übrigens von allen, in der Lehranstalt genannt worden war, begegnete. Und nun? Er hatte ihn auf den ersten Blick nicht einmal erkannt und mußte erstaunt stehenbleiben. Er sah vor sich einen tadellos gekleideten jungen Mann, mit wundervoll gepflegtem, ins Rötliche spielendem Backenbart, mit Pincenez, in Lackstiefeln, frischen Handschuhen und einem weiten Mantel von Charmeur, ein Portefeuille unter dem Arm. Lembke begrüßte seinen Mitschüler überaus freundlich, gab ihm seine Adresse und lud ihn irgendwann abends zu sich ein. Dabei stellte sich heraus, daß er nicht mehr der »Lembka«, sondern ein Herr von Lembke war. Sein einstiger Mitschüler suchte ihn trotzdem auf, vielleicht nur aus Bosheit. An der Treppe, die keineswegs schön und schon gar nicht elegant, wenn auch mit einem roten Läufer belegt war, wurde er von einem Portier empfangen und nach seinen Wünschen befragt. Darauf hörte man oben ein helles Läuten. Aber statt aller Reichtümer, auf die der Besucher gefaßt war, fand er seinen »Lembka« in einem winzigen Seitenzimmer, dunkel und verwohnt, von einem großen dunkelgrünen Vorhang in der Mitte geteilt, mit zwar gepolsterten, aber sehr abgenutzten dunkelgrünen Möbeln und dunkelgrünen Stores an den schmalen und hohen Fenstern. Herr von Lembke logierte bei einem sehr entfernten Verwandten, einem General, der ihn protegierte. Er empfing seinen Besucher freundlich, war ernst und legte eine elegante Höflichkeit an den Tag. Man unterhielt sich auch über Literatur, aber in schicklichen Grenzen. Ein Diener in weißer Halsbinde servierte einen ziemlich dünnen Tee, dazu kleines, rundes, trockenes Gebäck. Der Schulfreund bat aus Bosheit um Selterswasser. Es wurde gebracht, aber mit einiger Verspätung, wobei es Lembke

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