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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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sorgen. Seid durchdrungen von der Einsicht, daß wir und ihr einander unentbehrlich sind. In England sind die Whigs und die Tories ebenfalls einander unentbehrlich. Also: Wir sind die Tories, ihr seid die Whigs, das ist meine Auffassung.«
    Andrej Antonowitsch war sogar pathetisch geworden. Er führte gern kluge und liberale Gespräche, noch von Petersburg her, und hier wurde er, das war die Hauptsache, nicht belauscht. Pjotr Stepanowitsch schwieg und bewahrte einen irgendwie ungewöhnlichen Ernst. Letzteres spornte den Redner nur noch weiter an.
    »Wissen Sie, daß ich, der ›Herr und Gebieter des Gouvernements‹«, fuhr er fort, wobei er die Wanderung durch sein Arbeitszimmer wieder aufnahm, »wissen Sie, daß ich angesichts meiner zahlreichen Pflichten keiner einzigen wirklich nachkommen kann, während ich andererseits mit dem gleichen Recht behaupten dürfte, daß ich hier garnichts zu tun hätte. Das ganze Geheimnis besteht darin, daß alles von den Ansichten der Regierung abhängt. Mag die Regierung meinetwegen die Republik ausrufen, sei es aus politischen Gründen, sei es zur Beruhigung der Gemüter, aber wenn sie andererseits, parallel dazu, die Befugnisse der Gouverneure erweitert, werden wir, die Gouverneure, auch die Republik verdauen; was heißt überhaupt ›Republik‹, wir werden alles verdauen, was nur kommt; ich wenigstens fühle, daß ich dazu bereit bin … Mit einem Wort: Mag die Regierung mir telegraphisch vorschreiben: activité dévorante , dann entwickle ich die activité dévorante. Ich habe es hier offen und unverblümt gesagt: ›Meine Herren, im Sinne des Gleichgewichts und erfreulichen Gedeihens sämtlicher Gouvernementsbehörden ist nur eines unumgänglich: die Erweiterung der Machtbefugnisse des Gouverneurs.‹ Sehen Sie, es ist erforderlich, daß alle diese Institutionen, sei es Verwaltungen, sei es Justiz, ein, sozusagen, Doppelleben leben, das heißt, es ist erforderlich, daß es sie gibt (ich gebe zu, daß sie notwendig sind), aber andererseits ist es erforderlich, daß es sie nicht gibt. Alles entsprechend der Ansicht der Regierung. Zeigt es sich, daß die Institutionen sich plötzlich als notwendig erweisen, sind sie bei mir sofort zur Stelle. Ist die Notwendigkeit vorbei, sind sie bei mir nirgends zu entdecken. So verstehe ich die activité dévorante, die aber ohne Erweiterung der Machtbefugnisse des Gouverneurs unmöglich ist. Wir sprechen jetzt unter vier Augen, und Sie sollen wissen, daß ich bereits in Petersburg auf die Notwendigkeit eines besonderen Wachtpostens vor der Haustür eines jeden Gouverneurs hingewiesen habe. Ich warte auf Antwort.«
    »Sie brauchen zwei.«
    »Wieso zwei?« von Lembke blieb vor ihm stehen.
    »Einer dürfte zu wenig sein, um Achtung vor Ihnen zu gebieten. Sie brauchen unbedingt zwei.«
    Andrej Antonowitsch verzog das Gesicht.
    »Sie … Sie nehmen sich weiß Gott viel heraus, Pjotr Stepanowitsch. Sie nützen meine Gutmütigkeit aus, Sie sticheln und spielen den bourru bienfaisant  …«
    »Damit können Sie es halten, wie Sie wollen«, murmelte Pjotr Stepanowitsch. »Immerhin bahnen Sie uns den Weg und führen unsern Erfolg herbei.«
    »Wieso ›uns‹? Und was für einen Erfolg?« Von Lembke starrte ihn erstaunt an, erhielt aber keine Antwort.
    Als Julija Michajlowna den Bericht über diese Unterhaltung vernahm, wurde sie sehr ungehalten.
    »Aber ich kann doch nicht«, verteidigte sich Herr von Lembke, »deinen Favoriten wie ein Vorgesetzter behandeln, insbesondere nicht unter vier Augen … Es kann mir durchaus etwas entschlüpft sein … aus Gutherzigkeit.«
    »Aus viel zu viel Gutherzigkeit. Ich wußte ja nicht, daß du Proklamationen gesammelt hast, zeig sie mir doch bitte einmal.«
    »Aber … Aber er hat mich so inständig gebeten, sie für einen Tag mitnehmen zu dürfen.«
    »Und Sie haben ihm schon wieder etwas gegeben!« rief Julija Michajlowna ärgerlich aus. »Wie taktlos!«
    »Ich lasse sie sofort bei ihm holen.«
    »Er wird sie nicht zurückgeben.«
    »Ich werde es verlangen!« brauste von Lembke auf und sprang sofort von seinem Stuhl auf. »Wer ist er, daß man sich vor ihm so in acht nimmt, und wer bin ich, daß ich nichts mehr wagen darf?«
    »Setzen Sie sich und beruhigen Sie sich«, hielt ihn Julija Michajlowna zurück. »Ich werde Ihre erste Frage beantworten. Er ist mir wärmstens empfohlen worden, er ist begabt und sagt manchmal außerordentlich kluge Dinge. Karmasinow hat mir versichert, daß er überall

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