Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
über ihren Gatten.
»Hast du ihm etwa auch von der Kirche erzählt?« fuhr sie geradezu entsetzt hoch.
Von Lembke wurde entschieden nachdenklich, das Nachdenken aber war für ihn unbekömmlich und ihm von den Ärzten sogar verboten worden. Es stellte sich nicht nur heraus, daß der Gouverneursposten viele Strapazen, von denen später noch die Rede sein wird, mit sich brachte, sondern daß es eine spezielle Materie gab, die schmerzlich war, sogar für sein Herz, nicht nur für den Ehrgeiz des Beamten. Als Andrej Antonowitsch in den Stand der Ehe trat, hatte er auch nur die Möglichkeit künftiger Konflikte und Konfrontationen für rein ausgeschlossen gehalten. So hatte er sich die Ehe sein Leben lang vorgestellt, während er von einer Minna oder Ernestine träumte. Er fühlte, daß er häuslichen Gewittern nicht gewachsen war. Schließlich sprach sich Julija Michajlowna offen mit ihm aus.
»Du kannst ihm das unmöglich übelnehmen«, sagte sie, »schon deshalb nicht, weil du dreimal vernünftiger bist als er und auf der gesellschaftlichen Stufenleiter unvergleichbar höher stehst. In diesem Jungen stecken noch viele Reste früherer freidenkerischer Gepflogenheiten und, meiner Meinung nach, simpler Schabernack; so etwas verschwindet nicht plötzlich, man muß schrittweise vorgehen. Man muß unsere Jungen schätzen; ich sympathisiere mit ihnen, um sie am Rande des Abgrunds zurückzuhalten.«
»Aber weiß der Teufel, was er redet«, entgegnete von Lembke, »ich kann doch nicht tolerieren, daß er vor allen Leuten in meiner Gegenwart behauptet, die Regierung ersäufe das Volk absichtlich in Wodka, um es zu abrutieren und es dadurch von einem Aufstand zurückzuhalten. Versetze dich einmal in meine Rolle, wenn ich gezwungen bin, mir vor dem Publikum so etwas anzuhören.«
Während von Lembke dies sagte, erinnerte er sich an ein Gespräch, das er kürzlich mit Pjotr Stepanowitsch geführt hatte. In der unschuldigen Absicht, Pjotr Stepanowitsch durch Liberalismus zu entwaffnen, zeigte er ihm seine eigene private Kollektion aller möglichen Proklamationen, russischer und ausländischer, die er seit 1859 akribisch sammelte, weniger aus Liebhaberei, sondern einfach aus zweckmäßigem Interesse. Pjotr Stepanowitsch, der seine Absicht durchschaute, nahm sich die Grobheit heraus, zu bemerken, daß in einer einzigen Zeile mancher Proklamation mehr Sinn und Verstand stecke als in jeder beliebigen Kanzlei, »die Ihrige wohl nicht ausgenommen«.
Lembke war unangenehm berührt.
»Aber das ist für uns zu früh, viel zu früh«, sagte er beinahe beschwörend, indem er auf die Proklamationen deutete.
»Nein, es ist nicht zu früh; Sie haben ja Angst, folglich ist es nicht zu früh.«
»Aber, immerhin, hier ist zum Beispiel die Aufforderung zum Niederreißen der Kirchen.«
»Und warum nicht? Sie sind doch ein kluger Mann, und Sie glauben natürlich selbst nicht an Gott, sondern wissen viel zu gut, daß Sie den Glauben brauchen, um das Volk zu abrutieren. Die Wahrheit ist ehrlicher als die Lüge.«
»Einverstanden, einverstanden, ich bin mit Ihnen völlig einverstanden, aber das ist für uns zu früh, zu früh …« Von Lembke runzelte die Stirn.
»Was sind Sie dann schon für ein Regierungsbeamter, wenn Sie selbst bereit sind, die Kirchen niederzureißen und mit Knüppeln gegen Petersburg zu ziehen und nur über den Zeitpunkt anderer Ansicht sind?«
Der so plump überführte Lembke war sichtlich pikiert.
»Das ist etwas anderes, etwas anderes!« Er geriet, da sein Ehrgeiz zunehmend verletzt wurde, langsam in Feuer.
»Sie, als ein junger Mensch, dem unsere Ziele, das ist die Hauptsache, unbekannt sind, Sie befinden sich im Irrtum. Sehen Sie, mein guter Pjotr Stepanowitsch, Sie nennen uns ›Regierungsbeamte‹. Nun wohl. Selbständige Beamte? Nun wohl. Aber wenn Sie gestatten, wie handeln wir eigentlich? Wir tragen Verantwortung und dienen im Resultat ebenso der Sache der Allgemeinheit wie Sie. Wir erhalten lediglich das, woran ihr rüttelt, eben das, was ohne uns nach allen Seiten auseinanderfallen würde. Wir sind keineswegs eure Gegner, keineswegs. Wir sagen euch: Vorwärts, auf zum Progreß, ihr sollt an allem rütteln, was alt ist und verbesserungsbedürftig; und wir werden euch zur gegebenen Zeit in die erforderlichen Grenzen weisen und euch dadurch vor euch selber retten, denn ohne uns würdet ihr Rußland nur aufwühlen und es um seinen Anstand bringen, während unsere Aufgabe gerade darin besteht, für Anstand zu
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