Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
so zu sprechen?«
»Was heißt ›so zu sprechen‹? Klar und deutlich?«
»Sag mir endlich, du Ungeheuer, bist du mein Sohn oder nicht?«
»Das solltest du besser wissen. Natürlich neigt jeder Vater in diesem Fall zur Verblendung …«
»Schweig, schweig!« Stepan Trofimowitsch zitterte am ganzen Leibe.
»Siehst du, du brüllst und schimpfst, genau wie vorigen Donnerstag. Du wolltest sogar mit deinem Stock auf mich losgehen, aber ich habe das Dokument doch gefunden. Aus Neugier hab’ ich den ganzen Abend den Koffer durchwühlt. Freilich, etwas Genaueres gibt es nicht, damit kannst du dich trösten. Nur ein Briefchen von meiner Mutter an diesen Polacken. Aber wenn man ihren Charakter in Betracht zieht …«
»Noch ein Wort, und es regnet Ohrfeigen!«
»Was sind das für Menschen!« Plötzlich wandte sich Pjotr Stepanowitsch an mich. »Sehen Sie, wir sind seit letzten Donnerstag bei diesem Thema. Ich bin froh, daß heute wenigstens Sie dabei sind und den Schiedsrichter spielen können. Zuerst die Tatsache: Er wirft mir vor, daß ich in dieser Weise über meine Mutter rede, aber war er es nicht selbst, der mich auf diesen Gedanken brachte? War er es nicht selbst, der in Petersburg mich, einen kleinen Gymnasiasten, in der Nacht zweimal weckte, wie ein Weib heulte und mich umarmte, und was glauben Sie, was er mir dann nächtelang erzählte? Eben diese anzüglichen Geschichten über meine Mutter! Er war der erste, von dem ich sie hörte.«
»Oh, ich meinte es im höheren Sinne! Oh, du hast mich nicht verstanden. Nichts, gar nichts hast du verstanden.«
»Und trotzdem warst du gemeiner als ich, nicht wahr, gemeiner, das mußt du zugeben. Siehst du, wenn du es wissen willst – mir ist es egal. Ich spreche von deinem Standpunkt aus. Von meinem Standpunkt aus brauchst du keine Bedenken zu haben; ich gebe meiner Mutter keine Schuld; ob du es warst, ob es der Pole war, mir ist es schnuppe! Ich kann nichts dafür, daß es in Berlin bei euch so albern zuging. Wie sollte es bei euch auch vernünftig zugehen! Was seid ihr alles in allem für komische Leute! Und ist es dir etwa nicht egal, ob ich dein Sohn bin oder nicht? Hören Sie«, er wandte sich wieder an mich, »für mich hat er zeit seines Lebens keinen einzigen Rubel ausgegeben, bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr hat er nicht einmal Notiz von mir genommen, dann hat er mich hier ausgeplündert, und jetzt macht er ein großes Geschrei, er hätte mich sein Leben lang mit Schmerzen im Herzen getragen, und spielt vor mir Theater. Aber ich bin doch nicht Warwara Petrowna, ich muß schon bitten!«
Er stand auf und griff nach seinem Hut.
»Fluch über dich von nun an in meinem Namen!« Stepan Trofimowitsch reckte über ihm den Arm aus, bleich wie der Tod.
»Daß ein Mensch auf so eine Dummheit verfallen kann!« Pjotr Stepanowitsch schien sich sogar zu wundern. »Also leb wohl, Alter, ich werde nie wieder zu dir kommen. Das Konzept mußt du mir möglichst bald schicken, vergiß es nicht! Und versuch nach Möglichkeit, den schlimmsten Unsinn zu vermeiden: Fakten, Fakten und nochmals Fakten, vor allen Dingen so kurz wie möglich. Leb wohl.«
III
ÜBRIGENS wirkten hier noch weitere Ursachen mit. Pjotr Stepanowitsch verfolgte wirklich gewisse Absichten mit seinem Vater. Meiner Meinung nach hatte er sich vorgenommen, den alten Herrn bis zur Verzweiflung zu bringen und ihn dadurch in einen öffentlichen Skandal zu treiben, nach bewährtem Muster. Das sollte seinen künftigen Zielen dienen, von denen später noch die Rede sein soll. Von solchen verschiedenen Kombinationen und Entwürfen trug er damals eine ungeheure Menge in sich – natürlich fast alle phantastischer Art. Er hatte außer Stepan Trofimowitsch noch ein weiteres Opfer ins Auge gefaßt. Überhaupt war die Zahl seiner Opfer beträchtlich, wie sich später herausstellen sollte; aber auf dieses eine hatte er es besonders abgesehen, und das war Herr von Lembke persönlich.
Andrej Antonowitsch von Lembke gehörte zu jenem favorisierten (von der Natur favorisierten) Stamm , der in Rußland nach dem Kalender durch einige hunderttausend Exemplare vertreten ist und der vielleicht selbst nicht weiß, daß er innerhalb des Landes durch seine Masse einen streng organisierten Bund bildet. Es versteht sich, daß dieser Bund weder geplant noch gestiftet worden ist, sondern von selbst, wortlos und ohne Absprache, als ganzer Stamm existiert, als moralische Verpflichtung, und in gegenseitiger Hilfsbereitschaft
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