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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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Schulheft mit deinen undatierten Eintragungen, das ich während all der Zeit, die wir miteinander verbrachten, nie bei dir gesehen habe, damals mir zufiel und ich nicht weiß, ob – und wenn ja, wie gut – du dich erinnerst an deine genau neunundachtzig Sätze, in denen mein Name nicht auftaucht und die ich dir dennoch oder gerade deshalb wiederholen werde, nicht chronologisch, aber Wort für Wort, bis zum Ende unserer Geschichte.
    Ach, Harry, wäre dieses Heft bei jemand anderem gelandet und der neugierig genug gewesen, es auch zu lesen, er hätte nicht einmal ahnen können, daß es mich in deinem Leben, das meines war und ist, jemals gab.

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II
    Daß wir uns begegneten, war Zufall. Was sonst? Vielleicht ja doch so was wie Schicksal, denn wir hätten uns ebensogut verpassen können. An dem Tag, da wir einander über den Weg liefen, warst du nicht allein, und ich war noch keine zwölf Monate fort von dort, wo ich aufgewachsen und bis zu meinem neununddreißigsten Jahr geblieben war.
    Auch an die Szenen jenes siebzehnten April 1987, die mich und – zumindest für die ersten Stunden – vielleicht sogar dich betrafen, kann ich mich jederzeit erinnern; und im Unterschied zu den Film- oder Diabildern von der Matratzenidylle werden diese Szenen von Mal zu Mal klarer und detaillierter und stehen mir gerade jetzt beinahe textgenau vor Augen, so, als wären sie nicht geschehen, sondern erfunden, das Resultat meiner von mächtiger Sehnsucht befehligten Phantasie:
    Die U-Bahn hatte gehalten über dem Nollendorfplatz, ich war ausgestiegen und freute mich einmal mehr an der mir zu Füßen liegenden, von Dönerbuden, Cafés, Ramschläden und Blumenständen gesäumten, fast menschenleeren Weite, auch darüber, daß ich am Vortag nur mein Kleingeld samt dem billigen Portemonnaie verloren hatte, aber nicht das Dokument, das einen über das Aufnahmelager Marienfelde eingereisten DDR-Flüchtling berechtigte, ein ganzes Jahr lang kostenlos sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Die Frühlingssonne stand hoch am Himmel und warf gleißend helles, nahezu weißes Licht hinab auf denPlatz, der nach dem Tauwetter, dem jedoch kein Regen gefolgt war, ebenso unschuldig wie heruntergekommen wirkte; ich sehe auch noch dieses Kind, ein schmächtiges Mädchen in einem neongrünen Anorak, das mir von links ins Blickfeld lief, seinen Turnbeutel hinter sich herschleifte und offenbar keinen Spaß am Schuleschwänzen hatte.
    Ich griff mir vom Sims neben dem Kiosk eine zerknitterte »Bingo-BZ« mit gültigem Datum, die ihr voriger Besitzer, wohl weil es ihm gegen den Strich gegangen wäre, etwas Bezahltes und noch Brauchbares einfach wegzuschmeißen, dort abgelegt hatte – für jemanden wie mich, denn ich las damals gern die Klatsch- und Gruselgeschichten, die in schmalen Spalten unter den knalligen und manchmal sehr komischen Schlagzeilen standen.
    Die Zeitung überfliegend, eine Zigarette zwischen den Lippen, steuerte ich mein eigentliches Ziel an, die Badewanne in der Wohnung eines aus dem Bayrischen zugewanderten Sozialarbeiters, den ich mochte – da kamt ihr um die Ecke geschossen, du und dein Kumpel. Ihr benahmt euch seltsam, ausgelassen, ja übergeschnappt: wie zwei Kettenhunde, die sich losgerissen, aber erst eine Nacht unter fremden Fenstern geschlafen und noch nicht wieder den ganz großen Hunger haben; und doch deutet das Glitzern in ihren Pupillen, diese Tollheit, mit der sie einander bei Laune halten, schon darauf hin, daß sie den Preis der Freiheit bald kennen und bezahlen würden.
    Schöne Männer wart ihr, alle beide, du blauäugig, bleich, aschblond, der neben dir oliv, mit braunem Kraushaar, Sonnenbrille, kleinem Silberohrring. Und dafür, daß dieSweatshirts, die sich über euren breiten Schultern spannten, wahrscheinlich aus dem Kleiderfundus der Arbeiterwohlfahrt stammten, hatte ich damals noch nicht den Blick.
    Ich muß euch, obwohl ich nicht geschminkt war und mein kräftiger Leib in der Sorte Kleid steckte, die bezeichnenderweise Hänger heißt, ebenso aufgefallen sein wie ihr mir, denn ihr bliebt stehen, du zu meiner Linken, der andere zu meiner Rechten.
    »Na, Mausepuppe, wohin geht’s?« sagtest du – so schleppend deutlich, daß ich einen Moment lang dachte, du hättest schon drei, vier Biere getrunken. Aber in deinem Atem, den ich riechen konnte, weil sich dein Gesicht, während du sprachst, meinem näherte, war nichts säuerlich Alkoholisches, dafür etwas, wovon ich Appetit auf Kakao bekam. Ich

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