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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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weiß nicht mehr, was ich dir zur Antwort gab, doch das Wort Mausepuppe verfehlte seine Wirkung nicht, zumal es mich darauf brachte, daß du, trotz deiner irritierend langsamen, um saubere Artikulation bemühten Ausdrucksweise, nur ein Berliner sein konntest, aber keiner, dem der Schnabel im Osten gewachsen war. Einem so jungen und zudem klischeegemäß gewitzten Lands- oder richtiger Stadtsmann war ich bis zu jenem Tag, an dem ich euch in die Arme lief, auf dieser Seite der Mauer noch nicht begegnet. Die wenigen Menschen, die ich während der Monate nach Marienfelde näher kennengelernt hatte, stammten – wie der Bayer mit der Badewanne – aus dem Süden Deutschlands und betrachteten die Selbständige politische Einheit als eine Art Zwischenlager, in dem man studieren und so den »Ruf zum Bund«, »zur Fahne«, wie wir »von drüben« sagten, ganz legal ignorieren konnte. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, daß sich diese anderen nicht wesentlich von mir »Exzoni« unterschieden, daß auch sie vor etwas geflohen waren, ja, daß all die hierher abgehauenen Nord-, Süd-, West- und Ostdeutschen samt den Türken, Italienern, Griechen, Chinesen, Franzosen, Amerikanern … etwa die Hälfte der Bevölkerung jenes Teils meiner Stadt stellten, in dem ich nicht geboren wurde.
    Auf das Schmutztitelblatt des ersten Buches, das ich mir als Raubdruck vom ersten neuen Geld in einer Kneipe gekauft hatte, Anfang Dezember 1986, schrieb ich:
    Seit ich, die Topographie des Ostteils im Gedächtnis, durch den Westteil Berlins laufe, weiß ich, diese Stadt ist tatsächlich eine; die auf beiden Seiten übriggebliebenen Häuser ähneln einander ebenso wie die nach dem Krieg hinzugekommenen. Berlin, Ost und West, erinnert mich an ein Verlegenheitsgeschenk, eine Schachtel Kaufhauskonfekt, die dann wochenlang unbeachtet herumsteht, weil ihr Inhalt nicht besonders schmackhaft (hier würden sie sagen »lecker«) ist. In den Mulden des Plastikreliefs hocken, graubeschlagen oder angeknabbert und freudlos zurückgelegt, rechts die nackten Pralinees und links die golden eingewickelten, die, aus der Folie geschält, den anderen gleichen – haargenau, könnte man sagen, wenn Pralinen Haare hätten.
    Und auf einem Kalenderblatt vom vierzehnten März 1987, das als Lesezeichen in eben jenem Buch lag, hatte ich noch die folgenden zwei Sätze notiert:
    Ich laufe umher, sehe Menschen und denke: der und der und die und die …, wie ich kamen sie irgendwannhier an, um gleich weiter- oder wieder abzureisen, spätestens mit dem letzten Zug. Aber alle Züge waren längst weg, und der letzte ist nie losgefahren; seither sind wir auf dem Bahnhof unterwegs, und der heißt Westberlin- Zoologischer Garten.
    »Ich Harry, das Benno«, sagtest du, einen Knicks, keinen Diener andeutend. Und ich bin Soja, ergänzte ich – ziemlich unwillig, weil ich befürchtete, nun würde, wie beinahe jedesmal, wenn ich mich hier im Westen jemandem vorstellte, gleich wieder das große Kichern ausbrechen. – »Soja? Ach, und wie weiter? Bohne oder Soße?!« Nur einmal versuchte ich daraufhin zu erklären, daß nicht ich für meinen Vornamen verantwortlich sei, sondern meine Mutter, denn sie habe, auch und gerade »in den schweren Stunden« ihrer »ersten Niederkunft«, an ihr Idol denken müssen, »die von den deutschen Faschisten hingerichtete Partisanin Soja Kosmodemjanskaja«, die mir als »Leitstern den Lebensweg beleuchten« sollte – und noch größere Heiterkeit schlug mir entgegen.
    Ihr aber lachtet nicht mehr als zuvor. »Und, Soja«, sagtest du, »was ist? Wollen wir einen Kakao trinken gehen?«
    Der Blick, mit dem ich deinen erwiderte, muß dir gezeigt haben, wie ertappt ich mich fühlte. Woher wußtest du, welche Assoziation der Geruch deines Atems in mir ausgelöst hatte? Euer dreister Auftritt hatte mich ohnehin verunsichert, doch daß einer meine Gedanken las, das fand ich nun wirklich unheimlich, aber auch erregend, zumal du dieser eine warst. Ich flatterte mit den Armen, als könnte ich so die Erde verlassen oder euchwenigstens auf diese schüchterne Art den Vogel zeigen. Etwas zog mich hin zu dir, und gleichzeitig warnte mich etwas anderes: kleinliche Herzensträgheit, die allerdings auf Erfahrung basierte. Waren nicht, wie meine Oma einmal gesagt hatte, die meisten Abenteuer am Ende bloß teure Abende?! Außerdem erwartete mich Christophs Badewanne; ich fühlte mich ja gar nicht frisch genug für das vage Verlangen, das mich ergreifen und dir an den

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