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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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umgekehrte Illusion zu.) Statt dessen bot er mir an, ihn gelegentlich, wenn er Wichtigeres erledigen oder mal wieder seine Mutter besuchen müsse, bei dem Wochenendjob zu vertreten, und sehr viel später, als wir das Malibu schwankend verließen, auch seine Badewanne. »Hier«, lallte Christoph, »hier is a Schlüssel zu unsrer WG. Den hatte ich für Adrienne dabei, doch die scheint ihn ja nicht mehr zu wollen. Kannst kommen, wann du magst. Wir verlassen meist früh das Haus und sind viel unterwegs oder bei unseren Freundinnen.«
    Christophs Faust knuffte lasch meine Schulter; seinem Mund entwich noch ein »Tschau«, das wie Miau klang, dann drehte er sich weg und schritt davon, etwas steif- und breitbeinig, wie ein trauriger, aber stolzer Mann eben so geht, kurz vor dem Ende der Nacht.
    Als die ihn verschluckt hatte, lief auch ich los, Richtung Tiergarten, den Schlüssel in meiner Hand wärmend.
    Lieber hätte ich Christoph mitgenommen und viel lieber ihn zu sich begleitet, schon wegen der Badewanne. Doch seit ich unter ihnen lebte, war es mir nicht mehr gelungen, einen dieser Westmänner aus halbwegs sortierten Verhältnissen für mich zu gewinnen. Sicher, ich war nichts Besonderes, aber ich konnte lange Beine vorzeigen, reine Haut, einen vollen Busen und Mund. Früher im Osten, als ich noch den Exotenbonus hatte und der Gast die Freiheit, zu bestimmen über das Maß von Näheund Distanz, waren einige dieser Gäste jedenfalls weniger wählerisch gewesen. Zwei Studenten der politischen Wissenschaften, aus Marburg der eine, der andere aus Bremen, hatten nacheinander, »mit Hilfe« meiner »Zuneigung«, wie der Bremer es ausgedrückt hatte, die »erotischen Unterschiede« zwischen ihren »Bräuten« und denen im Osten »empirisch überprüft«. Auch an einen Heidelberger Zahnmediziner kann ich mich ziemlich gut erinnern – und an den vasektomierten amerikanischen Germanistikstudenten, der beim Anblick meines Ofens derart in freudige Erregung geriet, daß er, während seine Zehen die heißen Kacheln betasteten, wieder und wieder »oh, it’s crazy« rief. Dabei hatte mancher Mann, der neben mir oder in den übrigen Regionen unseres Ländchens aufgewachsen war, meine unkomplizierte, nicht nach fester Bindung strebende Art durchaus geschätzt; zumal sich Ostmänner bei den wirklich Schönen eher unsicher fühlten, denn die wollten, wie es hieß, »erobert und so oder so unterhalten werden«.
    Und nun? Ich gab mir alle Mühe, meine nicht eben zahlreichen Reize hervorzuheben, mit Lippenstift, Netzstrümpfen, schicken BHs unter dünnen Blusen. Aber es lief, obschon ich mich manchen Abend an der gelangweilten Herumhockerei in den Kneipen beteiligte, nichts; nichts als gelegentlich gönnerhaftes oder kritisch belehrendes Interesse an den – auch noch reichlich unspektakulären – Umständen meiner »weichen Landung« auf dem »Planeten des real existierenden Kapitalismus im Sonnensystem Deuropa«, zu der mir Christoph bei unserem ersten Gelage im Malibu gratuliert hatte. Und trotz des beifälligen Lächelns, mit dem ich die fade polemische Replik quittiert hatte, wußte ich über solche wie Christoph doch schon so viel, daß ich mich fragte, ob dieser Wortwitz tatsächlich auf seinem Mist gewachsen war oder auf dem eines Titanic- Redakteurs.
    Es war, als seien diese freundlichen, für das ungeübte Auge sehr lässig wirkenden jungen Männer, deren erlesene »Dresscodes« ich entschlüsseln lernte, noch ehe ich wußte, was genau damit gemeint ist, in Klarsichtfolie gewickelt. Ich konnte ihren Blicken folgen, zu ihnen sprechen, sie antworten und atmen hören, aber wirklich berühren konnte ich sie nicht. Das spürte ich, sobald ich meine Hand auf eine dieser Männerhände legte und versuchte, sie eine Weile dort zu lassen. Es fühlte sich an, als seien ihre gepflegten, sehnigen Hände, aus denen sich markant die Adern hervorwölbten, wiewohl sie Wärme abgaben, taub. Oder waren es meine Fingerkuppen? Auch die Männer schienen diese Blockaden zu bemerken, denn sie zogen, meist beiläufig, ja, behutsam, ihre jeweilige Hand weg, während meine noch Kontakt wollte, mein Nervensystem noch darauf wartete, daß etwas geschah, daß es womöglich meinen Pulsschlag beschleunigen, meine Betriebstemperatur erhöhen und meinen Geruchssinn schärfen müßte.
    Wie ferngesteuert erreichte ich die Pallas-Athene-Straße 12, öffnete die Tür zu der Fünfzimmerwohnung im vierten Stock des zweiten Hinterhofs, die sich Christoph mit drei

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