Böser kleiner Junge (German Edition)
dieses Kind ermordet habe. Sie werden mir zwar nicht glauben, aber ich erzähl’s Ihnen trotzdem. Wenn Sie es hören wollen.«
Hallas spähte durch die Löcher im zerkratzten Plexiglas und lächelte.
»Und Sie wollen es hören, stimmt’s? Weil es noch ein paar Ungereimtheiten gibt. Die Staatsanwaltschaft hat darüber hinweggesehen, aber Ihnen lässt das keine Ruhe.«
»Also … ja, stimmt.«
»Nun, ich hab’s getan. Ich hatte einen .45er Revolver, und damit hab ich den Jungen voll Blei gepumpt. Es gab jede Menge Zeugen, und Sie wissen genau, dass eine Revisionsverhandlung das Unvermeidliche lediglich für drei oder vier oder womöglich sechs Jahre hinausgezögert hätte – selbst mit meiner ausdrücklichen Einwilligung. Angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Tat treten alle Fragen, die Sie sich stellen, in den Hintergrund, nicht wahr?«
»Ja, aber wir hätten auf geistige Unzurechnungsfähigkeit plädieren können.« Bradley beugte sich vor. »Das können wir immer noch. Es ist nicht zu spät. Noch nicht ganz.«
»Eine nachträgliche Berufung auf geistige Unzurechnungsfähigkeit ist nur selten erfolgreich, Mr. Bradley.«
Er will mich nicht beim Vornamen nennen, dachte Bradley. Obwohl wir so viel Zeit miteinander verbracht haben. Er wird mich bis zu seinem Tod Mr. Bradley nennen.
»Selten heißt nicht nie, George.«
»Nein. Aber ich bin nicht verrückt und war es auch damals nicht. Ich war nie klarer im Kopf als zum Zeitpunkt der Tat. Also, wollen Sie hören, was das Gericht nicht erfahren durfte? Wenn nicht, ist das auch okay, mehr habe ich nicht anzubieten.«
»Natürlich will ich es hören«, sagte Bradley. Er nahm den Stift in die Hand, aber letztlich würde er sich bis zum Ende keine einzige Notiz machen. Er saß einfach nur da und hörte gebannt zu, während George Hallas mit seinem weichen Südstaatenakzent zu erzählen begann.
2
Meine Mutter, die ihr ganzes kurzes Leben über kerngesund war, starb sechs Stunden nach meiner Geburt an einer Lungenembolie. Das war 1969. Muss wohl was Genetisches gewesen sein, sie war nämlich erst zweiundzwanzig Jahre alt. Mein Vater war acht Jahre älter. Ein anständiger Mann und ein guter Daddy. Bergbauingenieur. Bis ich acht war, zogen wir durch den ganzen Südwesten von einem Bergwerk zum nächsten. Unsere Haushälterin begleitete uns. Sie hieß Nona McCarthy, aber ich nannte sie nur Mama Nonie. Sie war schwarz. Ich glaube, dass er mit ihr schlief, auch wenn sie immer allein war, wenn ich morgens zu ihr ins Bett schlüpfte – was ich oft tat. So oder so, es wäre mir völlig egal gewesen. Es war mir auch egal, ob sie schwarz war oder nicht. Sie war nett zu mir, kochte mir mein Mittagessen und las mir die üblichen Gutenachtgeschichten vor, wenn mein Vater nicht zu Hause war, und mehr verlangte ich nicht. Ich ahnte zwar, dass das Ganze nicht der traditionellen Familienkonstellation entsprach, aber ich war zufrieden.
1977 zogen wir ostwärts nach Talbot. Das ist in Alabama in der Nähe von Birmingham. Dort ist Fort John Huie beheimatet, ein Militärstützpunkt, und in der Gegend gibt es größere Kohlevorkommen. Mein Vater sollte die Wiedereröffnung der Good-Luck-Minen eins, zwei und drei organisieren und sie den Umweltbestimmungen anpassen. Dazu musste er neue Schächte bohren lassen und ein Entsorgungssystem entwerfen, damit die Flüsse in der Umgebung nicht verschmutzt wurden. Wir wohnten in einer netten kleinen Vorstadt. Das Haus hatte uns die Good-Luck-Bergbaugesellschaft zur Verfügung gestellt. Mama Nonie gefiel es dort, weil mein Vater die Garage zu einer Zweizimmerwohnung für sie umbaute. So gelang es ihm wahrscheinlich auch, den Tratsch auf ein Minimum zu beschränken. Ich half ihm an den Wochenenden, reichte ihm die Bretter und so. Es war eine schöne Zeit. Ich konnte zwei Jahre lang dieselbe Schule besuchen. Lange genug, Freunde zu finden. Lange genug für ein bisschen Beständigkeit.
Zu diesen Freunden gehörte auch das Mädchen von nebenan. In einer Fernsehserie oder einem Romanheft hätten wir uns wohl in einem Baumhaus zum ersten Mal geküsst, uns ineinander verliebt und wären dann auf der Highschool zusammen zum Abschlussball gegangen. Aus zwei Gründen sollte es zwischen mir und Marlee Jacobs niemals so weit kommen.
Daddy sagte immer, es gebe nichts Schlimmeres, als einem Kind falsche Hoffnungen zu machen. Deshalb ließ er mich nicht in dem Glauben, wir würden ewig in Talbot bleiben. Wahrscheinlich würde ich an der Mary Day Grammar
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