Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
sonst üblich. Der Dicke war guter Laune gewesen und hatte ihm den ausstehenden Lohn von fünf Tagen ausbezahlt.
Zusammen mit den Einkünften aus seiner Pfandflaschen-Sammelaktion hatte er rund dreihundert Euro im Portemonnaie. Ein kleines Vermögen! Deshalb hatte er sich beim türkischen Frisör gegenüber vom Hauptbahnhof in einem Anfall von Übermut nicht nur einen frischen Haarschnitt, sondern auch eine Rasur gegönnt. Nach einem Besuch bei Aldi hatte er noch genug übrig gehabt, um die Miete für den Wohnwagen für zwei Monate im Voraus zu bezahlen.
Er stellte den klapprigen Motorroller neben dem Wohnwagen ab, zog den Helm vom Kopf und nahm die Einkaufstüte vom Gepäckträger.
Die Hitze machte ihn fertig. Nicht mal nachts kühlte es richtig ab. Morgens wachte er schon schweißgebadet auf, in der elenden Frittenbude aus dünnem Wellblech herrschten Temperaturen von sechzig Grad und die unangenehme Luftfeuchtigkeit zementierte den Gestank von Schweiß und ranzigem Fett in allen Poren und den Haaren fest.
Der heruntergekommene Wohnwagen auf dem Dauercampingplatz in Schwanheim hatte damals eine vorübergehende Notlösung sein sollen, damals, als er noch fest daran geglaubt hatte, er werde es schaffen und seine finanzielle Situation wieder in den Griff bekommen. Doch nichts im Leben erwies sich als so dauerhaft wie ein Provisorium – mittlerweile hauste er hier im siebten Jahr.
Er öffnete den Reißverschluss des Vorzeltes, das vor Jahrzehnten einmal dunkelgrün gewesen sein mochte, bis die Witterung es zu einem undefinierbaren hellgrauen Farbton ausgebleicht hatte. Heiße Luft schlug ihm entgegen, im Innern des Wohnwagens waren es noch ein paar Grad mehr als draußen, es roch stickig und muffig. Egal, wie gründlich er putzte und lüftete, die Gerüche hatten sich in den Polstern und allen Ritzen und Fugen festgefressen. Auch nach sieben Jahren empfand er sie als unangenehm. Aber eine Alternative gab es für ihn nicht.
Nach seinem Absturz ins Bodenlose gehörte er selbst hier, in den Favelas der Gescheiterten am Rande der Metropole, als verurteilter Straftäter zur Unterschicht. Hierher verirrte sich niemand, um Urlaub zu machen und die glitzernde Skyline Frankfurts, die beton- und glasgewordenen Symbole des großen Geldes auf der anderen Seite des Flusses, zu bewundern. Seine Nachbarn waren größtenteils schuldlos verarmte Rentner oder verkrachte Existenzen wie er selbst, die irgendwann auf der Rolltreppe nach unten gelandet waren. Häufig spielte Alkohol die Hauptrolle in ihren Lebensgeschichten, die sich auf deprimierende Weise ähnelten. Er selbst trank höchstens mal ein Bier am Abend und rauchte nicht, achtete auf seine Figur und sein Äußeres. Auch von Hartz IV wollte er nichts wissen, denn ihm war allein der Gedanke daran, als Bittsteller auftreten zu müssen und der bornierten Willkür gleichgültiger Beamter ausgeliefert zu sein, unerträglich.
Ein winziger Rest von Selbstachtung war das Letzte, das ihm geblieben war. Wenn er den verlor, konnte er sich gleich umbringen.
»Hallo?«
Eine Stimme vor dem Zelt ließ ihn herumfahren. Hinter der halb vertrockneten Hecke, die die winzige Parzelle, auf der sein Wohnwagen stand, umgab, stand ein Mann.
»Was wollen Sie?«
Der Mann kam näher. Zögerte. Seine Schweinsäuglein huschten argwöhnisch von links nach rechts.
»Jemand hat mir gesagt, Sie würden einem helfen, wenn man Ärger mit ’nem Amt hat.« Die hohe Fistelstimme stand in einem grotesken Gegensatz zu der massigen Erscheinung des Mannes. Schweiß perlte auf seiner Halbglatze, der aufdringliche Geruch nach Knoblauch überlagerte noch unangenehmere Körperausdünstungen.
»So. Wer behauptet so was?«
»Die Rosi vom Kiosk. Die hat gesagt, geh zum Doc. Der hilft dir.« Der schwitzende Talgbrocken blickte sich wieder um, als fürchtete er, gesehen zu werden, dann zog er verstohlen eine Rolle Geldscheine aus seiner Hosentasche. Hunderter, sogar ein paar Fünfhunderter. »Ich zahl auch gut.«
»Kommen Sie rein.«
Der Kerl war ihm auf Anhieb unsympathisch, aber das spielte keine Rolle. Er konnte sich seine Mandantschaft nicht aussuchen, seine Adresse fand sich in keinem Branchenbuch, und eine Webseite hatte er erst recht nicht. Allerdings hatte seine Käuflichkeit nach wie vor Grenzen, das hatte sich auch in den einschlägigen Kreisen herumgesprochen. Mit seiner Vorstrafe und der immer noch laufenden Bewährung würde er sich in nichts hineinziehen lassen, was ihn womöglich wieder in den
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