Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Bericht über die Ermittlungen im Todesfall Veronika Meissner in den PC . Die Sonne brannte seit dem frühen Morgen auf das Flachdach des Gebäudes, in dem sich die Büros des Kommissariats 11 befanden, und die digitale Anzeige der Wetterstation, die auf dem Fensterbrett neben Kai Ostermanns Schreibtisch stand, zeigte 31 Grad an. Raumtemperatur. Draußen waren es locker noch drei Grad mehr. In jeder Schule hätte es hitzefrei gegeben. Obwohl alle Fenster und Türen weit geöffnet waren, ging kein Lufthauch, der etwas Linderung gebracht hätte. Pias Unterarm klebte an der Schreibtischplatte, sobald sie ihn darauflegte. Sie seufzte und gab einen Druckbefehl, dann heftete sie den Bericht in den schmalen Ordner. Fehlte nur noch der Obduktionsbericht, aber wo hatte sie ihn hingelegt? Pia stand auf und suchte in ihren Ablagekörben, um den Vorgang endlich abschließen zu können. Sie hielt seit vorgestern allein die Stellung im K11, denn ihr Kollege Kai Ostermann, mit dem sie sich das Büro teilte, war seit Mittwoch auf einer Fortbildung im Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Kathrin Fachinger und Cem Altunay nahmen an einem länderübergreifenden Seminar in Düsseldorf teil, und der Chef hatte seit Montag Urlaub und war mit unbekanntem Ziel verreist. Dem akuten Mangel an potentiellen Gästen war deshalb auch die kleine Feierstunde, die Kriminalrätin Dr. Nicola Engel aus Anlass von Pias Ernennung zur Kriminalhauptkommissarin für den frühen Nachmittag anberaumt hatte, zum Opfer gefallen, doch das hatte Pia nicht gestört. Rummel um ihre Person war ihr zuwider, die Änderung des Dienstgrades eine verwaltungstechnische Formalie, mehr nicht.
»Wo ist denn dieser dämliche Bericht?«, murmelte sie ärgerlich. Es war schon kurz vor fünf, und um sieben wollte sie auf das Abitreffen nach Königstein. Die Arbeit auf dem Birkenhof ließ ihr viel zu selten Zeit, soziale Kontakte zu pflegen, deshalb freute sie sich darauf, die Mitschülerinnen von früher nach fünfundzwanzig Jahren wiederzusehen.
Ein Klopfen an der offenstehenden Tür ließ sie herumfahren.
»Hallo, Pia.«
Pia traute ihren Augen nicht. Vor ihr stand ihr ehemaliger Kollege Frank Behnke. Er sah verändert aus. Seinen üblichen Look – Jeans, T-Shirt und abgelatschte Cowboystiefel – hatte er gegen einen hellgrauen Anzug, Hemd und Krawatte getauscht. Das Haar trug er etwas länger als früher, auch war sein Gesicht nicht mehr so ausgezehrt, was ihm besser stand.
»Hallo, Frank«, erwiderte sie erstaunt. »Lange nicht mehr gesehen.«
»Und doch gleich wiedererkannt.« Er grinste, schob die Hände in die Hosentaschen und musterte sie eingehend von Kopf bis Fuß. »Siehst gut aus. Hab gehört, dass du die Karriereleiter hochgefallen bist. Beerbst den Alten bald, was?«
Wie früher schon schaffte Frank Behnke es auch diesmal mühelos, sie in Sekundenschnelle zu verärgern. Die höfliche Frage nach seinem Befinden blieb Pia im Hals stecken.
»Ich bin mitnichten die Karriereleiter ›hochgefallen‹. Mein Dienstgrad hat sich geändert, sonst nichts«, entgegnete sie kühl. »Und wen meinst du mit dem Alten? Etwa Bodenstein?«
Behnke zuckte nur grinsend die Schultern und kaute auf seinem Kaugummi herum. Das hatte er sich nicht abgewöhnt.
Nach seinem unrühmlichen Abgang aus dem K11 vor zwei Jahren hatte er gegen seine Suspendierung geklagt und vor Gericht Erfolg gehabt. Allerdings war er nach Wiesbaden zum Landeskriminalamt versetzt worden, was bei der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim niemand bedauert hatte.
Er ging an ihr vorbei und ließ sich auf Ostermanns Stuhl nieder.
»Sind alle ausgeflogen, was?«
Pia brummte nur etwas und suchte weiter nach dem Bericht.
»Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«, fragte sie, statt auf seine Frage zu antworten.
Behnke verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Tja, wie schade, dass ich die frohe Botschaft vorerst nur dir verkünden kann«, sagte er. »Aber die anderen werden es noch früh genug erfahren.«
»Was denn?« Pia warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
»Die Arbeit auf der Straße hatte ich satt. Den Mist hab ich lange genug gemacht«, erwiderte er, ohne sie aus den Augen zu lassen. » SEK , K 11, das hab ich alles hinter mir. Ich hatte immer die besten Bewertungen, und man hat mir meinen kleinen Fehltritt verziehen.«
Kleiner Fehltritt! Behnke hatte Kollegin Fachinger in einem Ausbruch unbeherrschten Zorns niedergeschlagen und sich noch andere Verfehlungen geleistet, die eine Suspendierung
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