Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Erbrochenem. Alina stöhnte und versuchte, den Kopf zu heben. Wo war sie? Was war passiert, und wo waren die anderen?
Eben hatten sie doch noch alle zusammen unter dem Baum gesessen, Mart neben ihr, sein Arm um ihre Schultern. Das hatte sich gut angefühlt. Sie hatten gelacht, und er hatte sie geküsst. Katharina und Mia hatten dauernd wegen der vielen Mücken gemeckert, sie hatten Musik gehört und dieses süße Zeug getrunken – Wodka mit Red Bull.
Alina richtete sich mühsam auf. Ihr Kopf dröhnte. Sie schlug die Augen auf und erschrak. Die Sonne stand schon tief. Wie spät mochte es sein? Und wo war ihr Handy? Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war und wo sie überhaupt war. Die letzten Stunden waren wie ausgelöscht. Ein echter Filmriss!
»Mart? Mia? Wo seid ihr?«
Sie kroch bis zum Stamm der mächtigen Trauerweide. Es bedurfte ihrer ganzen Kraft, auf die Beine zu kommen und sich umzublicken. Ihre Knie waren weich wie Butter, alles drehte sich um sie herum, und sie konnte nicht richtig klar sehen. Wahrscheinlich hatte sie ihre Kontaktlinsen verloren, als sie gekotzt hatte. Denn das hatte sie. Der Geschmack in ihrem Mund war widerlich, und in ihrem Gesicht klebte Erbrochenes. Das trockene Laub knisterte unter ihren nackten Füßen. Sie blickte an sich herunter. Ihre Schuhe waren auch weg!
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, murmelte sie und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Sie würde einen Riesenärger kriegen, wenn sie in diesem Zustand zu Hause auftauchte!
Aus der Ferne wehten Stimmen und Gelächter zu ihr herüber, der Duft von gegrilltem Fleisch drang ihr in die Nase und ließ die Übelkeit wieder stärker werden. Wenigstens war sie nicht irgendwo in der Pampa gelandet; ganz in der Nähe gab es Menschen!
Alina ließ den Baumstamm los und machte ein paar unsichere Schritte. Alles um sie herum drehte sich wie in einem Karussell, aber sie zwang sich, weiterzugehen. Was für Arschlöcher die alle doch waren! Von wegen Freunde! Ließen sie hier einfach besoffen liegen, ohne Schuhe und Handy! Wahrscheinlich hatten die dicke Katharina und die blöde Zicke Mia sich noch köstlich über sie amüsiert. Die konnten was erleben, wenn sie sie morgen in der Schule sah! Und mit Mart würde sie nie mehr im Leben ein Wort reden.
Erst im letzten Augenblick bemerkte Alina die steil abfallende Böschung und blieb stehen. Da unten lag jemand! Zwischen den Brennnesseln, direkt am Wasser. Dunkle Haare, ein gelbes T-Shirt – das war Alex! Verdammt, wie war der dahin gekommen? Was war passiert? Fluchend machte Alina sich an den Abstieg. Sie verbrannte sich die nackten Waden an den Brennnesseln und trat auf irgendetwas Spitzes.
»Alex!« Sie ging neben ihm in die Hocke und rüttelte an seiner Schulter. Er stank auch nach Kotze und stöhnte leise. »Hey, wach auf!«
Mit der Hand verscheuchte sie die Mücken, die aufdringlich um ihr Gesicht schwirrten.
»Alex! Wach auf! Komm schon!« Sie zerrte an seinen Beinen, aber er war so schwer wie Blei und rührte sich nicht.
Auf dem Fluss fuhr ein Motorboot vorbei. Eine Welle schwappte heran, das Wasser gluckerte im Schilf und spülte über Alex’ Beine. Alina stockte vor Schreck der Atem. Direkt vor ihren Augen schob sich eine bleiche Hand aus dem Wasser und schien nach ihr zu greifen.
Sie prallte zurück und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Im Wasser zwischen den Schilfhalmen – keine zwei Meter von Alex entfernt – lag Mia! Alina glaubte ihr Gesicht unter der Wasseroberfläche zu erkennen, sie sah im diffusen Zwielicht der Abenddämmerung helles, langes Haar und weit geöffnete, tote Augen, die sie direkt anzusehen schienen.
Wie gelähmt starrte Alina auf das grausige Bild. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander. Was zum Teufel war hier passiert? Eine neue Welle bewegte Mias toten Körper, ihr Arm ragte gespenstisch blass aus dem dunklen Wasser, als ob sie um Hilfe bäte.
Alina zitterte am ganzen Leib, obwohl es noch immer unerträglich heiß war. Ihr Magen rebellierte, sie taumelte, drehte sich um und erbrach sich in die Brennnesseln. Statt Wodka und Red Bull kam aber nur noch bittere Galle. Verzweifelt schluchzend kroch sie auf allen vieren die steile Böschung hoch, das Gestrüpp zerkratzte ihre Knie und Hände. Ach, wäre sie doch nur schon zu Hause, in ihrem Zimmer, im Bett, in Sicherheit! Sie wollte nur weg von diesem schrecklichen Ort und alles vergessen, was sie gesehen hatte.
*
Pia Kirchhoff tippte den letzten
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