Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Knast bringen konnte. Die Mundpropaganda bescherte ihm Kneipenwirte und Imbissbudenbetreiber, die gegen amtliche Auflagen verstoßen hatten, verzweifelte Rentner, die auf Kaffeefahrten und bei Haustürgeschäften hereingelegt worden waren, Arbeitslose oder Migranten, die das komplizierte System der deutschen Bürokratie nicht verstanden und junge Leute, die von den Verlockungen eines Lebens auf Kredit frühzeitig in die Schuldenfalle gelockt worden waren. Jemand, der ihn um Hilfe bat, wusste, dass er nur gegen Bargeld arbeitete.
Sein anfängliches Mitleid hatte er sich schnell abgewöhnt; er war kein Robin Hood, sondern ein Söldner. Gegen Bargeld und Vorkasse füllte er an dem zerschrammten Resopaltisch in seinem Wohnwagen amtliche Formulare aus, übersetzte verklausulierte Behördensprache in verständliches Deutsch, gab juristischen Rat in allen Lebenslagen und besserte so sein Einkommen auf.
»Worum geht’s?«, fragte er seinen Besucher, der mit einem abschätzenden Blick die offensichtlichen Indizien der Armut erfasste und angesichts dieser an Sicherheit zu gewinnen schien.
»Mann, ist das heiß hier drin. Ham Sie ’n Bier oder ’n Glas Wasser?«
»Nein.« Er gab sich keine Mühe, freundlich zu sein.
Die Zeit der Besprechungstische aus Mahagonifurnier in klimatisierten Räumen, Tabletts mit Wasser- und Saftfläschchen und auf den Kopf gestellten Gläsern war definitiv vorbei.
Der Dicke zog mit einem Schnaufen ein paar zusammengerollte Papiere aus der Innentasche seiner speckigen Lederweste und reichte sie ihm. Umweltpapier, eng bedruckt. Finanzamt.
Er faltete das schweißfeuchte Papier auseinander, glättete es und überflog es.
»Dreihundert«, verlangte er ohne aufzublicken. Gerolltes Bargeld in Hosentaschen war immer Schwarzgeld. Der dicke Schwitzer konnte es sich leisten, etwas mehr zu zahlen als den üblichen Tarif, den er Rentnern und Arbeitslosen abnahm.
»Was?«, protestierte der neue Mandant wie erwartet. »Für so ’n bisschen Papierkram?«
»Wenn Sie jemanden finden, der es günstiger macht – bitte schön.«
Der Dicke murmelte irgendetwas Unverständliches, dann blätterte er widerwillig drei grüne Scheine auf den Tisch.
»Krieg ich wenigstens ’ne Quittung?«
»Klar. Meine Sekretärin stellt Ihnen später eine aus und gibt sie Ihrem Chauffeur«, erwiderte er sarkastisch. »Jetzt setzen Sie sich schon. Ich brauche ein paar Angaben von Ihnen.«
*
Der Verkehr staute sich am Baseler Platz vor der Friedensbrücke. Seit ein paar Wochen war die Stadt eine einzige verdammte Baustelle, und sie ärgerte sich, weil sie nicht daran gedacht hatte und in die Innenstadt gefahren war, statt die Strecke über das Frankfurter Kreuz und Niederrad nach Sachsenhausen zu nehmen. Während sie im Schneckentempo hinter einer Rostlaube von Kleinlaster mit litauischem Kennzeichen über die Mainbrücke kroch, kreisten Hannas Gedanken um das unerfreuliche Gespräch mit Norman von heute Morgen. Noch immer war sie stinksauer über dessen Blödheit und seine Lügerei. Es war ihr wirklich schwergefallen, ihn nach elf Jahren fristlos zu entlassen, aber er hatte ihr keine andere Wahl gelassen. Bevor er wutschnaubend abgezogen war, hatte er sie übel beschimpft und wüste Drohungen ausgestoßen.
Hannas Smartphone gab einen Summton von sich, sie ergriff es und öffnete das Mailprogramm. Ihre Assistentin hatte ihr eine E-Mail geschrieben. Der Betreff lautete »Katastrophe!!!«, und statt eines Textes fand sich nur ein Link zu FOCUS online. Hanna klickte mit dem Daumen auf den Link, und ihr wurde flau im Magen, als sie die Überschrift las.
»Hanna Herz-los« , stand da, in dicken Lettern, daneben ein ziemlich unvorteilhaftes Fotos von ihr. Ihr Herz begann zu rasen, sie bemerkte, dass ihre rechte Hand unkontrolliert zitterte, und schloss sie fester um das Smartphone. »Ihr geht es nur um den Profit. Die Gäste ihrer Sendung müssen einen Knebelvertrag unterschreiben, bevor sie zu Wort kommen. Und das, was sie sagen, wird ihnen von Hanna Herzmann (46) vorgeschrieben. Maurer Armin V. (52) sollte in der Sendung (Thema: Mein Vermieter will mich entmieten) von seinem Ärger mit seinem Vermieter sprechen, doch vor laufender Kamera wurde er von der Moderatorin zum Mietnomaden abgestempelt. Als er nach der Ausstrahlung der Sendung dagegen protestierte, lernte er die vermeintlich mitfühlende Hanna Herzmann von einer anderen Seite kennen, und ihre Anwälte gleich dazu. Jetzt ist Armin V. arbeitslos und ohne Wohnsitz; sein
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