Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
freihältst.«
»Ach, so siehst du das mittlerweile.« Er war prompt beleidigt.
Hanna wusste, dass Jan Niemöller heimlich in sie oder eher noch in ihren Glanz, der auch auf ihn als ihren Mitgeschäftsführer abstrahlte, verliebt war, aber sie schätzte ihn lediglich als Partner, als Mann war er nicht ihr Fall. Außerdem wurde er in letzter Zeit etwas zu besitzergreifend, sie musste ihn in seine Schranken weisen.
»Das sehe ich nicht so, das ist so«, sagte sie deshalb, noch eine Spur kühler. »Ich lege Wert auf deine Meinung, aber entscheiden tue ich immer noch allein.«
Niemöller öffnete schon den Mund, um zu protestieren, aber Hanna schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Der Sender hasst diese Art von Publicity. Wir haben keine besonders starke Position mehr, bei den Scheißquoten der letzten Monate, mir blieb gar nichts anderes übrig, als Norman rauszuschmeißen. Wenn sie uns aus dem Programm nehmen, könnt ihr euch alle einen neuen Job suchen. Kapierst du das?«
Irina Zydek, Hannas Assistentin, erschien im Flur.
»Hanna, Matern hat schon dreimal angerufen. Und so gut wie jede Zeitungs- und Fernsehredaktion, mal abgesehen von Al Dschasira.« Ihre Stimme hatte einen besorgten Unterton.
In den Türen ihrer Büros tauchten die anderen Mitarbeiter auf, ihre Verunsicherung war spürbar. Sicherlich hatte sich herumgesprochen, dass sie Norman fristlos entlassen hatte.
»Wir treffen uns in einer halben Stunde im Konfi«, sagte Hanna im Vorbeigehen. Zuerst musste sie Wolfgang Matern zurückrufen. Ärger mit dem Sender konnte sie sich im Augenblick überhaupt nicht leisten.
Sie betrat ihr lichtdurchflutetes Büro, das letzte im Gang, warf ihre Tasche auf einen der Besucherstühle und setzte sich hinter den Schreibtisch. Während ihr Computer hochfuhr, blätterte sie rasch die Rückrufbitten durch, die Irina auf gelben Post-its notiert hatte, dann griff sie nach dem Telefonhörer. Unangenehmes schob sie nie lange vor sich her. Sie tippte auf die Kurzwahltaste mit der Nummer von Wolfgang Matern und holte tief Luft. Er meldete sich nur Sekunden später.
»Hier ist Hanna Herzlos«, sagte sie.
»Schön zu hören, dass du das noch mit Humor nehmen kannst«, entgegnete der Geschäftsführer von Antenne Pro.
»Ich habe eben meinen Producer fristlos entlassen, denn ich habe erfahren, dass er über Jahre hinweg die Lebensgeschichten meiner Gäste frisiert hat, wenn ihm die Wahrheit zu langweilig erschien.«
»Und das hast du nicht gewusst?«
»Nein!« Sie legte alle Empörung, zu der sie fähig war, in diese Lüge. »Ich bin fassungslos! Ich konnte doch nicht jede Story überprüfen, musste mich auf ihn verlassen. Das ist – oder war – schließlich sein Job!«
»Sag mir bitte, dass das keine Katastrophe wird«, sagte Matern.
»Natürlich nicht.« Hanna lehnte sich zurück. »Ich habe schon eine Idee, wie man den Spieß umdrehen kann.«
»Was willst du tun?«
»Wir werden alles zugeben und uns bei den Gästen entschuldigen.«
Einen Moment war es still.
»Die Flucht nach vorn«, sagte Wolfgang Matern schließlich. »Das ist es, wofür ich dich bewundere. Du versteckst dich nicht. Lass uns morgen beim Mittagessen darüber reden, okay?«
Hanna konnte sein Lächeln förmlich hören, und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Manchmal waren ihre spontanen Einfälle doch die besten.
*
Der Airbus war noch nicht zum Stehen gekommen, da klickten schon die Verschlüsse der Sicherheitsgurte und die Leute standen ungeachtet der Anweisung, bis zum endgültigen Erreichen der Parkposition auf ihren Plätzen zu bleiben, auf. Bodenstein blieb sitzen. Er hatte keine Lust, minutenlang eingezwängt im Gang zu stehen und von den anderen Passagieren angerempelt zu werden. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er gut in der Zeit war. Die Maschine war nach vierundfünfzig Minuten pünktlich um 20:42 gelandet.
Seit heute Nachmittag hatte er die erleichternde Gewissheit, seinen Lebenskompass nach zwei turbulenten, chaotischen Jahren endlich wieder genordet zu haben. Seine Entscheidung, zu dem Prozess gegen Annika Sommerfeld nach Potsdam zu fahren und damit einen Schlussstrich unter die ganze Angelegenheit zu ziehen, war goldrichtig gewesen. Er fühlte sich wie befreit von einer Last, die er seit dem letzten Sommer, nein, eigentlich seit jenem Tag im November vor zwei Jahren, als er begreifen musste, dass Cosima ihn betrog, mit sich herumgetragen hatte. Das Scheitern seiner Ehe und die Sache mit Annika hatten ihn seelisch
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