Böses Blut
das Weiße war zu sehen. Spasmodische Zuckungen fuhren über sein Gesicht. Konvulsionen wogten durch den aufgepumpten Körper. Weißer Schaum trat aus seinem Mund. Keine Andeutung eines Lauts.
Was Gunnar Nyberg sah, war der wortlose Schmerz.
Sein großer Körper bebte. Was konnte er tun? Die furchtbaren Zangen in Lundbergs Hals wagte er nicht anzurühren. Jede Bewegung konnte fatale Folgen haben. Er wagte nicht
einmal, die Lederriemen um Arme und Beine zu lösen. Wie würde ein konvulsiver Sturz auf den Fußboden sich auswirken? Das einzige, was er in einem kleinen Versuch von Hilfeleistung tun konnte, war, die lange Nadel aus seinem Glied zu ziehen. Das tat er.
Dann bekam er endlich das Handy aus der Innentasche, konzentrierte sich und schaffte es, die Nummer zu tippen. Er kannte die Stimme, die einen Krankenwagen anforderte, nicht wieder. »Ein Arzt muß mitkommen«, sagte die Stimme. »Ein Halsspezialist.«
Dann beugte er sich zu Lundberg hinunter. Er legte ihm die Hand auf die bebende Wange. Er versuchte, ihm beruhigend zuzureden. Er nahm ihn in den Arm. Er versuchte, soviel Mitmensch zu werden, wie er konnte.
»Schon gut, schon gut, Benny, jetzt ganz ruhig. Die Hilfe ist unterwegs. Du schaffst das schon. Bleib am Ball, Benny. So alles ist gut. Schön ruhig jetzt.«
Die Krämpfe und Zuckungen schienen allmählich abzunehmen. Benny Lundberg wurde ruhiger – oder war er im Begriff, in seinen Armen zu sterben? Gunnar Nyberg merkte, daß er weinte.
Norlander jagte dem Schwarzgekleideten nach. Er war inzwischen gut in Form und kam ihm allmählich näher. Aber der Mann war schnell und geschmeidig. Er warf sich von der Laderampe und Lief weiter, am Wachhäuschen vorbei. Der Wachmann guckte heraus, als Norlander vorüberlief.
»Ruf die Polizei!« brüllte er ihm noch zu.
Der Schwarzgekleidete tauchte in einem Querweg unter und verschwand für kurze Zeit aus dem Blickfeld. Norlander gelangte an die Ecke und sah den Mann zwanzig, dreißig Meter entfernt hinter einem Haus verschwinden. Ohne zu über legen, lief er hinterher. Die Waffe baumelte in seiner Hand. Der vermummte Mann schaute um die Ecke und schoß.
Norlander warf sich in den Schlamm. Eine Sekunde lang wußte er nicht, ob er getroffen war, dann kam er wieder hoch.
Die Pistole war voller Schlamm. Er versuchte, sie im Laufen abzuwischen. Er lief vor und spähte vorsichtig um die Ecke. Dahinter war es leer, eine Gasse. Geduckt lief er weiter und spähte um die nächste Ecke. Wieder nichts. Und weiter bis zur nächsten Ecke. Vorsichtig spähen.
Ein Schritt war alles, was er hinter sich hörte, ein leichtes Platschen. Dann ein ungeheurer Schmerz im Nacken. Wie ein Schwein fiel er vornüber in den Schlamm. Er war fast ohnmächtig. Er blickte hoch in den treibenden Regen. Alles tanzte. Der Schwarzgekleidete starrte ihn durch die Vermummung an. Er konnte seine Augen nicht erkennen. Das einzige, was er sah, war der mit einem Schalldämpfer versehene Pistolenlauf, der knallhart auf sein Gesicht gerichtet war.
»Hau ab«, fauchte der Mann. »Mach, daß du wegkommst.«
Dann war er verschwunden. Norlander hörte einen Motor starten. Er rappelte sich auf und blickte um die Hausecke. Schwindel überkam ihn. Die Welt drehte sich. Sehr, sehr vage sah er die Konturen eines Wagens in der Mitte der Zentrifuge. Möglicherweise braun, möglicherweise ein Jeep.
Dann sackte er zusammen und blieb im Schlamm liegen.
26
Die Sonne in New York schien genauso wahnsinnig geworden zu sein wie der Regen in Stockholm. Die Zeit war aus den Fugen. Es fehlte nur, daß Pferde mit zwei Köpfen geboren wurden oder Dohlen, denen der Schnabel aus dem Hintern wuchs.
Es war unmäßig heiß. Nicht einmal die hypermoderne Klimaanlage des FBI konnte die Hitze beschwören. Zicke, zacke,
Hühnerkacke tat es auch nicht, wie Hjelm feststellen konnte. Er war entnervt, fühlte sich wie mitten im Schritt angehalten.
Sie warteten. Warten ist nie förderlich für die Duldsamkeit gegenüber Irritationen. Alles irritierte alle. Sogar Jerry Schonbauer bekam einen Anfall und riß sich sein tropfnasses Hemd vom Leib, daß die Knöpfe flogen. Als einer der Knöpfe die Kontaktlinse aus Kerstins linkem Auge herausschlug, fand er wieder zu seinem schüchternen Ich zurück und überschlug sich in Entschuldigungen.
»Ich wußte gar nicht, daß du Linsen getragen hast«, sagte Hjelm nach einer Weile.
»Getragen hast ist richtig«, sagte sie und betrachtete die zweigeteilte Linse, die zwischen Daumen und
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