Böses Blut
zu sich. Er ging hinüber zu einem abblätternden Rasierspiegel an der Wand des anonymen Büroraums und betrachtete das Mal auf seiner Wange.
Während der Jagd nach dem Machtmörder hatte sich auf seiner Backe ein rotes Mal gezeigt, und ein Mensch, der ihm sehr nahestand, hatte gesagt, das Mal sehe aus wie ein Herz. Das war lange her. Sie stand ihm nicht mehr nahe, und die, die es jetzt tat, fand das Mal vor allem eklig.
Er blickte mit einer Mischung von Wehmut und Unwirklichkeitsgefühl auf die Machtmordzeit zurück. Es war eine seltsame Zeit gewesen, ein verrücktes Durcheinander von beruflichem Erfolg und persönlicher Katastrophe. Und von Erneuerung, quälend, wie Erneuerung immer quälend ist.
Seine Frau Cilla hatte ihn verlassen. Er blieb mitten in einer der wichtigsten Mordermittlungen Schwedens allein mit den Kindern im Reihenhaus in Norsborg zurück. Die Kinder blieben sich selbst überlassen, während er immer tiefer in den Fall hineingesogen wurde und bei einer Kollegin zweifelhaften erotischen Trost fand. Es fiel ihm noch immer schwer, das, was wirklich zwischen ihnen gewesen war, von dem zu unterscheiden, was er sich eingebildet hatte.
Doch mit der Lösung des Falles wechselte der Zug des Lebens wieder zurück auf das Gleis des Gewohnten, wie es ihm in lyrischen Augenblicken zu formulieren gefiel, und ein Wagen nach dem anderen wurde von den Nebengleisen heruntergezogen und wieder aufs Hauptgleis geschoben, bis der alte Zug Hjelm wieder er selbst war. Cilla kehrte zurück, das Familienleben normalisierte sich, die A–Gruppe, und nicht zuletzt er selbst, wurde zu Helden erklärt, die Gruppe wurde zur dauerhaften Einrichtung, er wurde befördert, und ein paar seiner Kollegen wurden enge Freunde, die Kollegin suchte sich einen neuen Mann, die Ruhe kehrte zurück, und alles war Friede, Freude, Eierkuchen.
Die Frage war nur, ob er nicht am Ende eine Überdosis Friede, Freude, Eierkuchen bekam, denn eines Tages, nach dem knappen halben Jahr, das es gedauert hatte, den Machtmordsack zuzuknüpfen und ein Urteil zu ermöglichen, sah er in einer abrupten Zoombewegung die Hauptbahn sich in eine Modelleisenbahn verwandeln, und was er für freie Höhen und endlos weite Himmel gehalten hatte, waren im besten Fall der zementierte Fußboden, die Wände und die Decke eines Hobbyraums, und das rasche Dahingleiten des Zuges war nichts anderes als ein ständiges Fahren im Kreis.
Hatte man erst einmal angefangen, die Existenz der A–Gruppe in Frage zu stellen, fand sich schnell eine ganze Serie von anderen Dingen, die man in Frage stellen konnte. Es kam ihm immer mehr so vor, als sei die Rückkehr in die alten Bahnen nur deren Inszenierung. Als sei das Ganze nur eine Attrappe, ein Gebäude ohne Fundament, das der geringste Windstoß umblasen könnte.
Hjelm betrachtete sich im Spiegel: gut vierzig, dunkelblondes schwedisches Standardhaar mit immer höher werdender Stirn, generell wenig auffälliges Äußeres. Nur das Mal, von dem er gerade einen kleinen Hautfetzen abzog und das er mit Hautcreme einrieb, bevor er ans Fenster zurückkehrte. Der Morgen war noch immer unbeweglich. Das kleine gelbe Blatt lag noch an der Stelle, wo es gelandet war. Kein Windstoß hatte den Innenhof des Polizeipräsidiums aufgesucht, während er sich abgewandt hatte.
Was sie brauchten, war ein robuster Serienmörder. Von robustem internationalem Charakter. Dachte Paul Hjelm und glitt wieder in seine Orgie von Selbstmitleid ab.
Zwar war Cilla zurückgekehrt. Zwar war er selbst zurückgekehrt. Doch nicht ein einziges Mal hatten sie sich darüber unterhalten, was sie eigentlich während der Trennung getan und empfunden hatten. Zunächst hatte er das als ein Zeichen gegenseitigen Vertrauens gewertet, aber dann regte sich der Verdacht, daß es sich um eine Kluft handelte, die sie nie überwinden könnten, es sei denn mit künstlichen Hilfsmitteln. Und was war eigentlich mit den Kindern? Danne war jetzt sechzehn, Tova bald vierzehn, und manchmal, wenn er ihre flüchtigen Seitenblicke auffing, fragte er sich, ob alles Vertrauenskapital aufgebraucht war. Hatte der wunderliche Sommer vor einem Jahr Spuren hinterlassen, die das Dasein von Menschen noch weit über seinen eigenen Tod hinaus verzerren würden? Der Gedanke machte ihn schwindeln.
Auch das Verhältnis zu Kerstin Holm, der Kollegin, schien in eine neue Phase getreten zu sein. Mehrmals am Tag liefen sie sich über den Weg, und jede Begegnung kam ihm angestrengter vor als die letzte.
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