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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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was mir geraubt werden sollte: mein Heiligtum von Geburt an, der Tempel meiner Kindheit, der Resonanzkörper meiner jugendlichen Rebellion.
    Christa hatte behauptet, mein Zimmer sehe nach nichts aus. Richtig: Es sah mir ähnlich. Es gab keine Bilder von irgendwelchen Sängern oder Sternchen, die so schnell verglühten, wie sie aufgestiegen waren; die Wände waren nackt wie mein innerstes Wesen. Es war auch nicht auffallend karg, was zu der Vermutung hätte Anlaß geben können, ich sei meinem Alter voraus; das war ich nicht. Ein paar Bücherstapel lagen herum – Zeichen meiner Identität.
    Diese Unauffälligkeit, die mir so kostbar war, sollte überrollt werden – im Namen einer nichtexistenten Freundschaft, deren Anschein ich jedoch aufrechterhalten mußte, wollte ich die Zuneigung meiner Eltern nicht für immer verlieren.
    Ich predigte mir Moral: Wie klein deine Welt ist, jede Winzigkeit wird bei dir gleich zum Drama; denk lieber an die, die gar kein Zimmer haben. Außerdem wird Christa dich leben lehren, und das ist schließlich auch nicht zu verachten.
    Doch solche wohlmeinenden Ermahnungen überzeugten mich am allerwenigsten.
     
    Mittwoch nachmittag kam die Besatzerin mit einer riesigen Reisetasche, die nichts Gutes verhieß – doch das war erst der Anfang. Heraus quollen Klamotten ohne Ende, ein Ghettoblaster, CD s mit grauenerregenden Titeln, zahllose Gegenstände, die ihr vermutlich ans Herz gewachsen waren, und, was am schrecklichsten war, massenhaft Poster.
    »Jetzt wird das endlich ein richtiges Mädchenzimmer!« rief Christa.
    Sie tapezierte die Wände mit Porträts berühmter Personen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte, die ich jedoch von nun an um mich dulden müßte. Ich schwor mir, ihre Namen sofort wieder zu vergessen.
    Schlichte Akkorde mit gutgemeinten Texten erfüllten den Raum, und Christa trieb den Horror so weit, daß sie auch noch mitsang.
    Das war schon ein ziemlich starker Einstieg.
    Außerdem stellte sich heraus, daß Christa kein Album bis zum Ende hören konnte, sondern ständig etwas Neues auflegen mußte. Diese Prozedur war eine besonders subtile Art der Folter: Wenn Christa von etwas genug hatte, meist mitten in einem Song, erweckte sie damit die zaghafte Hoffnung, sie habe womöglich die Dürftigkeit der Beschallung erkannt. Doch kaum hatte sie sich für die neue CD entschieden, sehnte ich mich augenblicklich nach der vorigen zurück, sosehr ich mich auch dafür tadelte und mich bemühte, etwas daran zu finden, was in Hinblick auf die folgende nur vernünftig gewesen wäre.
    »Gefällt’s dir?« fragte Christa.
    Die Frage erschien mir unpassend. Seit wann interessiert sich der Folterknecht für die Meinung seines Opfers?
    »Sehr!« hörte ich mich mit fester Stimme sagen. »Vor allem der deutsche Rock.«
    Konnte ich wirklich so lügen? Ich konnte.
    Dabei war der deutsche Rock von allem, was Christa mir zumutete, mit Sicherheit das Schlimmste. Trieb mich Masochismus dazu, Wohlgefallen zu bekunden, wo ich den größten Abscheu empfand? Wenn ich es recht überlege, nein. Denn je mehr Scheußlichkeiten man hört, desto schneller kommt man dem Schrecken auf den Grund, und das ist allemal besser, als an seiner Oberfläche zu verweilen. Außerdem hatte der deutsche Rock, so ekelhaft er war, den französischsprachigen Barden gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Wenigstens waren die Texte unverständlich.
    »Stimmt, der ist super. Detlev und ich finden ihn auch toll«, schwärmte Christa. Und legte sofort ein Stück auf, das mit voller Lautstärke durchs Zimmer dröhnte und passenderweise So schrecklich hieß. Kann man gar nicht besser sagen, dachte ich.
    Was war bloß mit der deutschen Kultur geschehen, die so grandiose Komponisten hervorgebracht hatte? Wie war es dazu gekommen, daß die teutonische Musikproduktion auf das Niveau einer brutalen akustischen Umweltverschmutzung gesunken war? Und wenn man sich das Liebesleben von Detlev und Christa zu diesen holprigen Klängen ausmalte, war es wohl weit entfernt von Lohengrin.
    Es klopfte schüchtern an der Tür: mein Vater.
    »Hallo, François! Wie geht’s?« brüllte Christa mit breitem Grinsen.
    Es kam mir immer noch abwegig vor, daß sie meine Eltern duzte und beim Vornamen rief.
    »Danke, sehr gut«, stammelte mein Vater. »Entschuldige bitte, aber ist die Musik nicht doch ein bißchen laut?«
    »Stimmt«, sagte sie und drehte den Lautstärkeregler herunter. »Ich hab das nur für Blanche getan – es ist ihre

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