Böses mit Bösem
Beisammensein vor einem langen Tisch, wo alte Damen |370| Tee in Großmengen zubereiteten. Die Narben aus der Zeit vor Iris’ Rettung waren noch nicht verblasst. Sie sah müde aus, ängstlich und dankbar, am Leben zu sein. Bruder Isaiah sah genauso aus, wie ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, als er auf dem Bett in Manhattan lag und darauf wartete, dass sein Tod aufgeklärt wurde.
Als ich das Bild wieder auf den Nachttisch zurückstellte, fiel mir auf, dass die Nachttischlampe daneben nicht eingesteckt war. Sie war schwer und rokokohaft überladen: die Art Lampe, die nach Ansicht von Hausfrauen die Aristokratie besessen hätte, wenn ihr das Kunststoffgussverfahren bekannt gewesen wäre. Ich untersuchte Kabel und Sockel – alles schien in Ordnung zu sein. Der Lampenhals war ein einfacher, in die anderen beiden Lampenteile eingeschraubter Zylinder. Ich entfernte den Schirm und schraubte das Oberteil ab.
Drinnen lag ein einziges Blatt Papier, so weiß wie der Lampenhals.
Felix,
wenn du das hier liest, ist etwas schiefgelaufen. Ich habe herausgefunden, wohin mein Freund Salda gebracht wurde. Man hat ihn in einem Lagerhaus in der Nähe des LaGuardia Airports festgehalten. Das Schild an dem Gebäude verweist auf eine Firma namens Executive Transport Services. Ich werde das Gelände eine Weile beobachten und schauen, was dabei herauskommt. Vielleicht lebe ich lange genug, um es dir zu zeigen.
Du hattest recht, als du mir sagtest, ich solle gehen. Ich hatte keine Ahnung, wozu sie fähig sind. Wenn du dich dafür revanchieren willst, dass ich dir geholfen habe, dann folge mir nicht. Ich weiß, dass du einen Grund dafür suchen wirst, dich schuldig zu fühlen; keiner versteht das besser als ein guter Christ. Lass mich gehen. Wo immer ich jetzt auch sein
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mag, ich möchte wissen, dass du woanders bist, an einem sicheren Ort, wo du glücklich und gesund lebst und die Leute auf die Palme bringst.
Iris
Ich begriff nicht, was ich da las. Ich war wie in dem Moment nach der Detonation einer Blendgranate gefangen: Die überreizte Retina überträgt das eine, erstarrte Bild der Welt unmittelbar vor der Explosion. Es war wie der Moment, in dem ich verstanden hatte, dass meine Mutter tot war.
Iris war weg.
Ich blickte auf und sah, dass Mrs Brown über mir stand. Sie hatte eine beschützende Haltung eingenommen und stellte sich zwischen mich und die ungenannten Schatten, die durch den Spalt unter der Tür hereinkommen konnten.
Ich gab ihr den Brief. Sein Inhalt schmerzte sie sehr, überraschte sie aber nicht.
»Sie wussten bereits, dass man sie verschleppt hat, oder?«
»Ich hatte den Verdacht, aber gewusst habe ich es erst, als Sie hier eingetroffen sind«, antwortete Mrs Brown.
»Ich gehe zu diesem Lagerhaus.«
»Das würde sie nicht wollen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber das, was hier geschieht, ist größer als sie.« Die Worte waren bitter; ich musste mich zwingen, sie auszusprechen. »Mrs Brown, Sie wissen, was ich von Ihrer Organisation halte, aber beherzigen Sie den Ratschlag eines alten Feindes: Schaffen Sie sofort alle Mitglieder außer Landes.« Die alte Dame war hart im Nehmen. Selbst nach dem, was sie gerade gelesen hatte, wirkte Mrs Brown nicht erschüttert. »Sollten Sie irgendwelche Zweifel haben, reden Sie mit den Veteranen in Ihrer Organisation. Sagen Sie denen, dass die Spezialeinheit Siebzehn nach Hause zurückgekehrt ist.«
|372| Ich war mir nicht sicher, ob ich sie überzeugt hatte, aber ich hatte alles gesagt, was mir möglich war. Ich nahm das Foto vom Nachttisch in die Hand. »Darf ich das hier behalten?«
Sie nickte.
»Ich werde sie finden, Mrs Brown.«
»Darum bete ich«, erwiderte sie. »Was mich selbst betrifft, so habe ich keinen Zweifel, dass ich dieses liebe Mädchen wiedersehen werde.«
Ich wusste, sie meinte, ihre Wiedervereinigung werde im nächsten Leben stattfinden. Nach dieser Feststellung gestattete Mrs Brown sich zu schluchzen. Ich nahm die alte Frau in die Arme und ließ sie für uns beide weinen. Ich war zu wütend für Tränen.
Ich wollte mir nicht vorstellen, was sie Iris angetan hatten, aber das war auch nicht nötig. Es war von sechs Männern durchgeführt worden – das war die übliche Zahl –, alle schwarz maskiert, Satanisten, die nur ein einziges Ritual kannten. Vier hatten sie festgehalten, während die anderen beiden ihr die Kleider vom Leib schnitten. Die Fetzen hatte man in eine Tüte getan. Ein Beruhigungsmittel wurde anal mit einem
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