Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
Sie mich nicht kennen?«
»Ich hätte Sie nicht vergessen.«
Sie lächelte. Vielleicht war’s das gewesen. Sie hatte Angst, war verletzt, gebrochen, wusste den eigenen Namen nicht, aber das war’s. Die Augen und dann das Lächeln.
Sie öffnete die Schublade des Tischs neben dem Bett, holte das eine Ding heraus, das darin lag, und hielt es mir zur Musterung hin.
»Das ist Ihre Karte«, sagte sie. »Nick Sayler. Sayler Security.«
»Ich glaube Ihnen«, erwiderte ich. »Ich muss mir die Karte nicht ansehen. Ich habe jede Menge davon drucken lassen, und ich weiß nicht, wo sie überall auftauchen. Und da Sie sich nicht daran erinnern können, woher Sie sie haben, habe ich keinerlei Anhaltspunkt. Tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen kann.«
Greenburg wirkte traurig. Er schüttelte geschlagen den Kopf.
»Justin«, sagte sie.
»Ich kann auch nichts machen«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte es.«
Sein innerer Kampf war fast greifbar. Ich beobachtete ihn bei seinem Versuch, mit sich ins Reine zu kommen, dass er all jene Jahre der Schule in den Wind schoss, wenn er sie ohne Anweisung hier herausholte. Sie mit zu sich nach Hause nahm.
»Sie haben’s versucht«, sagte sie. »Das weiß ich zu schätzen. Ich werde mir etwas ausdenken.«
Sie klappte das Schutzgitter an der Seite herab und schwang die Beine aus dem Bett. Ich war nicht davon überrascht, dass sie perfekt waren. Aber ihre Füße. Missgestaltet wäre ein Kompliment. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich erkannte, was mit ihnen nicht stimmte.
Es waren die Füße einer Ballerina. Das wusste ich wegen Allegra Trent, einer Ballerina, die ich mal gekannt hatte. Eine kurze Zeit hatte ich sie sehr gut gekannt. Sie hatte die gleichen Füße. Verformt von den vielen Jahren, in denen sie aufgesprungen und blutig gewesen und in diese Satinschühchen mit den Stahlkappen gequetscht worden waren.
»Sie sind eine Tänzerin.«
»Eine Tänzerin?«, fragte sie.
»Im Ballett.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sehen Sie sich Ihre Füße an!«
»Meine Güte, sind die hässlich«, sagte sie und schlüpfte in ein Paar Schuhe, die neben ihrem Bett standen. Sie bestanden aus einem weichen, olivgrünen Material, und ich stellte mir vor, dass zwanzig Millionen unermüdlich rackernde chinesische Frauen solche Schuhe trugen, wenn sie robuste Sneakers für große amerikanische Firmen nähten.
»Wo ist meine Kleidung?«, fragte die Tänzerin.
Ich sah sie zusammenzucken und erkannte den Umriss eines Verbands auf ihrem Rücken, während sie das fadenscheinige Krankenhaushemd fest um sich zog. Langsam ging sie zum Schrank. Darin hingen bloß zerrissene Blue Jeans, und sie erweckte den Eindruck, als habe sie diese nie zuvor gesehen. Sie zog sie dennoch an, weil es offensichtlich keine Alternative gab.
»Wo sind meine Sachen?«, fragte sie Greenburg, der zur Tür hinübergegangen war, was er während unseres Gesprächs regelmäßig getan hatte.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er und wandte sich uns zu. »Ihre Bluse war ziemlich versaut, und Sie hatten keinen Mantel.«
»Oder Unterwäsche?«
»Ich denke, die war vom Blut auf Ihrem Rücken schmutzig«, entgegnete Greenburg. »Die Helferinnen haben alles aus dem Zimmer gebracht.«
Sie hatten die Kleidung mitgenommen, um sie der Polizei zu übergeben, die offensichtlich noch nicht auf den Überfall aufmerksam gemacht worden war – oder sich noch nicht gezeigt hatte. Bei einer Schussverletzung wäre sie schnell da gewesen. Oder vielleicht hätte eine Stichverletzung ihre Aufmerksamkeit erregt. Doch eine verprügelte, aber nicht vergewaltigte Frau und ein aufgeschlitzter Rücken mitten in einem Gewitter, spät nachts, das erforderte keine Eile. Tatsächlich mochte sie überhaupt nicht erscheinen. Wenn mehr Leute wüssten, wie willkürlich die Polizei sein kann, würden mehr Leute ein Risiko eingehen und darauf hoffen, dass ihre Untat unbeachtet bliebe.
Ich zog das Jackett aus und reichte es der Tänzerin, wiederum wütend über ihren Angreifer. Den tapferen Jungen, der das vierzig Kilo schwere Mädchen geschlagen und aufgeschlitzt hatte.
Sie stand nicht sehr sicher auf ihren Ballerinafüßen, und nachdem sie sich das Jackett übergestreift hatte, lehnte sie sich gegen die Schranktür. Zuckte erneut vor Schmerz zusammen. Sie gab keinen weiteren Laut von sich, aber ich sah die Tränen, die sich erst in den Augenwinkeln sammelten, wie Blasen, und ihr dann die Wangen hinabliefen.
»Mr Sayler«, sagte Greenburg. Er
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