Bonita Avenue (German Edition)
würde er durchbohrt. Er sitzt in einer gefliesten Falle: Därme sind primitive Hirne, die von Aaron und Joni wissen, dass sie zu Hause sind, sie wollen sich entleeren. Aaron kommt näher . Aber auch Aaron geht ins Wohnzimmer. Er will ausatmen, doch stattdessen atmet er tiefer ein und knetet mit der Hand, die vom Schweiß glitschig ist, sein steifes Glied. Denk nach, verdammt! Es kommt nichts.
Fliehen. Er muss fliehen .
Jemand schaltet den Fernseher an, Stadiongeräusche, eine Kommentatorenstimme. «Lass uns erst schnell ausladen.» Aaron. Er ejakuliert. Ein Stich durchfährt wellenartig seinen Rücken. Schritte in der Diele. Warmer Samen tropft auf seinen linken Fuß, sein eigener Geruch. Stille, dann wieder Schritte, sie gehen raus. Sie sind beim Wagen .
Fliehen . Jetzt ist der Moment. Weg, sofort . Durch die Küche, das ist die einzige Möglichkeit. Er öffnet die Toilettentür und steht mit drei langen Schritten im Wohnzimmer.
«Ich komm dir gleich helfen, Schatz.» Joni steht am Esstisch, mit dem Rücken zu ihm, betrachtet etwas, einen Stapel Umschläge und Zeitungen. Ihr Hals ist braun, das hochgesteckte Haar blonder als sonst. Der Vorhang vorm Fenster ist beiseitegeschoben. Das Zimmer badet in verheerend hellem Abendlicht.
«Hier ist eine Karte von deinem Bruder.»
Er klappert mit den Zähnen. Seine Tochter dreht sich um, die Muskeln in ihrem sonnengebräunten Gesicht spannen sich an, entspannen sich wieder – und fliegen in alle Richtungen. Ihr schönes Gesicht löst sich auf. Es ist Joni, die umfällt, sie fällt tatsächlich um. Er sieht sich in ihrer Grimasse: nackt, verwildert, ein Arm in einem Nylonstrumpf. Aus ihrem verzerrten Mund bricht ein schriller Schrei hervor.
«Nein», ruft er. «Nicht.»
« Was nicht, Papa ?»
Sie sind im Albtraum des jeweils anderen.
In den Garten, er muss weg, er kann hier so nicht stehen bleiben. Joni sitzt auf ihrem Hintern, die Hände wie Scheuklappen an ihrem Gesicht. Sie zittert, ihr ganzer Körper bebt.
«So ist es nicht», sagt er. Und: «Das war’s dann.»
Mit großen Schritten läuft er aufs Licht zu. Er beschreibt eine gerade Linie, sein Körper beschleunigt gleichförmig. Er fliegt. Sein Knie und unmittelbar danach seine heiße Stirn berühren die Mauer aus Luft und Licht als Erste. Eine gläserne Hand drückt ihn zurück. Die Luft ist eine Wand aus Glas – aber selbst eine Wand darf ihn nicht aufhalten. Die Schiebetür federt mit, schnellt zurück und stürzt wie ein klirrender Wasserfall zu Boden; Glas zerbricht auf seinen nackten Schultern. Nadeln. Messer. Er läuft weiter, läuft immer weiter. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, walzt er durch das hohe, saftige Gras. Schlägt einen Haken, weiche, krümelige Erde unter den Fußsohlen. Er trifft auf etwas Hartes, stößt etwas um. Zwängt seinen blutenden Körper durch den Nadelgehölznebel.
12
Selbst in Linkebeek wurde es Frühling. Das Fenster über seinem Schreibtisch stand weit auf, ein Weberknecht trudelte ins Zimmer. Aaron folgte dem Insekt mit einer Drehbewegung seines Bürostuhls, es stieß gegen die Decke, rammte ein paarmal erfolglos die Leiste, in der früher die Schiebetüren gelaufen waren, schoss dann unter dem Hindernis hindurch und irrte in dem großen, dahinterliegenden Zimmer an seinen Regalen entlang, in denen die Bücher standen, die er hier in Linkebeek gekauft hatte oder aus dem Verbrennungsofen in der Vluchtestraat hatte retten können.
Er drehte sich um und checkte seine E-Mails. Immer noch nichts, in Los Angeles war es inzwischen nach zehn, das sah er auf dem Reisewecker neben seinem Monitor. Draußen quakten Enten, er schaute auf, durch die hellgrüne Krone des Ahorns in seinem Vorgarten konnte er den Kirchturm kaum noch sehen. Das milde Wetter passte zu seiner Stimmung. Als er am Morgen gegen zehn erwacht war, funkte ein ungewöhnlicher Optimismus durch seine Nervenbahnen. Er erwischte sich dabei, dass er sich regelmäßig vorzustellen versuchte, wie Joni in Kalifornien lebte. Die Handvoll Nachrichten, die er von ihr bekommen hatte, setzten eine Mischung aus Nostalgie und Verlangen in ihm frei, ein Gefühl, auf das er nicht gefasst gewesen war, als er ihr die erste fiebrige E-Mail schickte. Was war es genau? Eine sentimentale Sehnsucht nach ihrer entschwundenen Zeit in Enschede, aber auch nach etwas Unbestimmtem in der Zukunft, beides ebenso mitleiderregend wie lächerlich, das war ihm durchaus klar. Aber er konnte es nicht verhindern, immer wieder dachte er über
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