Bonita Avenue (German Edition)
noch die Hoffnung hatte, dass alles zu einem guten Ende kommen würde, machte er sich vor allem Sorgen um Joni, so viel Liebe empfand er für seine Tochter, dass für ihn ihre Zukunft an erster Stelle stand. War sie geistig wirklich gesund? Wurde Druck auf sie ausgeübt? Aber mit so was ist nun Schluss. Wütend ist er; jetzt, da die Wahrheit ihm ins Gesicht spuckt, ist er rasend . Was hat sich das Luder da nur in den Kopf gesetzt? Wie kann sie nur so dumm sein? So banal, so pervers. Wie kann sie nur? Weißt du überhaupt, was du da tust, Joni? Welche Risiken du eingehst? Gesellschaftliche Risiken? Was, wenn das öffentlich wird? Willst du auf dem Abstellgleis landen, Joni Sigerius?
Trinken und denken. Wie ein Zombie liegt er auf der harten Couch. Einen Moment lang verspürt er die Neigung, einer bleiernen, tiefsitzenden Erschöpfung nachzugeben, doch dann fährt er hoch. Blut strömt in seinen Kopf. Und wie geht es mit ihm selbst weiter? Wenn das rauskommt? Ein Wissenschaftsminister mit zwei Wasserzeichen in seinem Briefpapier: Mord und Prostitution. Er hat einen Sohn, der einen anderen Menschen erschlagen hat, und eine Tochter, die ihren Körper im Internet verkauft. Porno × Mord, das ist die Formel seines Lebens. O ja, davon kannst du ausgehen, sie werden auch die Geschichte mit Wilbert ausbuddeln, alles wird an die Öffentlichkeit gezerrt. Sie werden ihn von der Bildfläche mobben, sie werden ihn jagen und erniedrigen, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Womit habe ich das verdient? Ist mein Glück dahin? Sein Rücken ist schweißnass, seine Beine kleben.
Versuch doch mal, analytisch zu bleiben. Auf Lösungen zu setzen. Das ist eine Krise, keine Katastrophe – noch nicht. Er hat eine knappe Woche, um Maßnahmen zu ergreifen. Bevor sie wiederkommen, muss er einen Plan haben, eine Strategie, um diese Krise, die noch keine Katastrophe ist, zu meistern. Soll er sie sich vorknöpfen? Sie hart rannehmen, ihnen aufs Dach steigen, soll er sie demaskieren und bestrafen? Ja. Nein. Er weiß es nicht. Vielleicht ist es besser, sich mit ihnen zu verbünden. Wenn er sie zur Vernunft bringen will, darf er kein Gegner sein. Was sie tun, ist legal, sie sind erwachsen. Das ist kein Totschlag. Bringt er sie gegen sich auf, dann wenden sie sich ab. Dann machen sie erst recht weiter. Er wird ihnen sagen müssen, was er weiß, und mit offenem Visier verhandeln.
Durch den allmählich aufsteigenden Alkoholnebel dringen Geräusche zu ihm durch, irgendwo in einem Garten machen Oranje-Fans sich auf den Weg zum Spiel, das nachher beginnt. Den ersten Schock hat er überwunden. Seine Wut verebbt, der Whisky entspannt ihn ein wenig. Seine Gedanken suchen sich andere Bahnen, er landet erneut bei seinem Vater. Kann er ein Auge zudrücken? So wie sein alter Herr ein Auge zugedrückt hat? Gibt es wie damals zwei Wirklichkeiten? Stoßen zwei Wahrheiten aufeinander? Versteht er die Zeitläufte überhaupt noch? Ist der Dachboden nicht mehr als eine frivole Jugendsünde? Wieder nimmt er den Schläger und schlägt eine Kerbe in die Tischkante. Sei nicht so nachsichtig, Mann! Hier geht es nicht um Judo . Es geht verdammt noch mal um …
Und dennoch. Dennoch bröckelt da was, ein leises scheinheiliges Nagen, dass sich immer weniger verleugnen lässt, je mehr er trinkt. Die kompromittierende Tatsache, dass er … dass er dieser ganzen Misere als Konsument auf die Spur gekommen ist, als Jonis Kunde , und er es nicht von einem besorgten Dritten erfahren hat, die Tatsache, dass er bezahlt , ja den beiden Geld für das überwiesen hat, was er nun so harsch verurteilt – diese wahnsinnige, heuchlerische Verstrickung beginnt, auf ihn einzuwirken. Das blütenweiße Licht seiner moralischen Empörung fällt durch ein Prisma und wird zu einem Spektrum von differenzierten emotionalen Endzeitgedanken gebrochen.
Die Jahre von Jonis erwachender Weiblichkeit. Sein lächerlich-krampfhaftes Bemühen, jeden Anschein eines erotischen Interesses zu vermeiden. Woody Allens Beziehung zu seiner Stieftochter, er und Tineke schauen Nachrichten, und sofort macht er den Fernseher aus, er kann es nicht hören. Unerträglich. Sein prüdes Zurückschrecken beim Betreten des Badezimmers, wenn Joni unter der Dusche stand, beim Kitzeln und Balgen im Garten oder auf der Couch – Erinnerungen, die ihm vor dem Hintergrund des bestürzenden Schicksals zu schaffen machen, das ihn jetzt trifft, des himmelschreienden Wissens, dass er ebendieses Mädchen, eine Frau vielmehr – dass
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