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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Und wer weiß. Und wer weiß . Wie alt war sie inzwischen? Fünfunddreißig? Sechsunddreißig, höchstens. Er versuchte, sich eine sechsunddreißigjährige Joni vorzustellen. Wie mochte sie aussehen? (Schon die ganze Woche gelang es ihm nicht, sich an ihr gewohntes, entspanntes Gesicht zu erinnern.) Er versuchte, sich vorzustellen, wie sie … Er versuchte, sich ein Bild davon zu machen, wie Joni hier in Linkebeek … Wie sie schwanger aussähe.
    Stattdessen sah er etwas anderes; wie so oft, wenn er sich ihr Bild in Erinnerung rief, starrte ihn eine weit aufgerissene, entsetzte Grimasse an – das Gesicht, das sie in den letzten Sekunden, in denen eine gemeinsame Zukunft vor ihnen lag, gemacht hatte.
     
    Sie saß auf dem Hintern, halb unter dem Tisch. Alarmiert stürzte er ins Wohnzimmer, über der Schulter die giftgelbe Oilily-Tasche, in der sie auf Korsika ihre schmutzige Wäsche gesammelt hatten, und da saß sie, die Arme um die Knie geschlungen, der Esstisch ein Vordach, als hätte sie vor dem Scherbenregen Schutz gesucht. Auf dem Tisch und um sie herum lagen Umschläge, Zeitungen und Glassplitter, ein ordentliches, beruhigendes Stillleben im Vergleich zu ihrem Gesicht, das aussah, als wäre es von irgendetwas Hohem auf der Richterskala getroffen worden. Sie gafften einander eine unbestimmte Zeit lang an, Jonis Augäpfel quollen hervor, die Lider ähnelten den hochgeschobenen Ärmeln eines Pullovers. Mit belegter Stimme sagte sie, dass es ihr Vater gewesen sei, dass er alles wisse und sich durch die Schiebetür geworfen habe, «er rannte einfach so da durch». Regungslos blieb sie sitzen.
    Im Gegensatz zu ihm, er warf die Oilily-Tasche zu Boden, sein Herz trat und trampelte in seiner Brust, seines lauten Keuchens wegen konnte er nicht sprechen. Hat er dich niedergeschlagen?, wollte er fragen, sie saß da, als wäre sie durch einen Faustschlag zu Boden gestreckt worden, aber reden ging nicht, ihm war schwindelig – darum sprang er mit zwei weit ausholenden Schritten durch den splittrigen Rahmen der Schiebetür hinaus auf die Terrasse. «Blut», stotterte er, zwischen den Scherben auf den Fliesen sah man großflächige Flecken Blut. Er trat auf den Rasen, «verdammt», schimpfte er heiser, «verdammt, verdammt», aber verstummte dann abrupt, da bewegte sich etwas, Sonnenlicht, er machte eine abwehrende Bewegung, schlag mich nicht , mit drei Sprüngen war er wieder im Wohnzimmer, stand da mit rasselndem Atem und schaute in den Garten, stellte fest, dass es nur sein Fahrrad war, das Sonnenlicht auf seinem Fahrrad. Joni, wie in Stein gehauen, saß immer noch auf dem Boden, die Stielaugen starrten ins Nichts, sie zog die Nase hoch. Er ging ins hintere Zimmer und machte mit mehrmaligem Rucken die Vorhänge zu, stieß mit dem Schienbein gegen den Couchtisch, ging in die Diele, drückte, ohne auf die Straße zu schauen, die Haustür ins Schloss. Hielt inne, lehnte sich mit dem Rücken an die Strukturglasscheibe. Dann begann er zu lamentieren, und ohne dass er es hätte beeinflussen können, strömten beschwörende Phrasen aus seinem Mund, Wörterkacke, wässriger Brei, das hätten sie nun davon, das sei doch absehbar gewesen, Scheiße, Joni, Scheiße , sie hätten früher damit aufhören müssen, sie hätten niemals damit anfangen dürfen, den braungebrannten Kopf mit beiden Händen umspannend, ging er ins Wohnzimmer, «davor habe ich immer Angst gehabt, warum …»
    «Halt den Mund», sagte Joni. Zu seiner Verwunderung war sie aufgestanden, ungelenkig fischte sie sich mit Daumen und Zeigefinger eine Scherbe von der Schulter. «Dir ist ja wohl klar», sagte sie erschütternd gefasst, «dass wir jetzt damit aufhören. Es ist vorbei, Aaron.»
    Seine Arme, weich wie Gummi, glitten von seinem Kopf. Er schluchzte, ein tiefer Schluchzer – und nickte. Ja. Klare Sache. Er verstand nicht nur, was Joni sagte, er wusste es bereits. Draußen hatte er es schon gewusst, als er auf der ausgestorbenen Straße die Oilily-Tasche aus dem Kofferraum hob und die Kakophonie zersplitternden Glases aus der Diele auf ihn zurollte, da wusste er bereits, dass alles vorbei war, ein ernstes und unwiderrufliches Wissen. Er wusste , dass es Sigerius war, der seine unlängst erst eingebaute Schiebetür in Scherben schlug. Ein kristallener Schlussakkord, der alles beendete – das zwischen ihm und Joni, ihren noch frischen Neuanfang, seine Freundschaft mit ihrem Vater, das Leben im Bauernhaus, die Zeit in der Stadt, in der er Jahre hatte wohnen

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