Bonita Avenue (German Edition)
geschlaucht zurückkehrte, was eher auf eine nervliche denn körperliche Anstrengung zurückzuführen war. Ständig sah er sie gehen, sitzen, stehen – Sigerius oder Joni, manchmal auch alle beide. Jonis Telefonnummer wählte er in seinen schwächsten Momenten, aber natürlich ging sie nicht ran, und was er ihr auf die Mailbox sprechen sollte, wusste er nicht. Seine Trauer schlug um in rasende Eifersucht, und umgekehrt.
Auf der Türmatte fand er einen Umschlag mit den Schlüsseln seines Alfas. Die Website war abgeschaltet, wie er eines Nachts feststellte, es erstaunte ihn, dass sie das auf die Reihe bekommen hatte. Allmählich machte sich in ihm die Vermutung breit, dass sie bereits in die USA abgereist war. Nachts, wenn da drüben Tag war, checkte er ihr gemeinsames Konto, studierte den spektakulären Betrag mit den sieben Stellen vor dem Komma so oft, dass er den Zahlenschweif sehr bald schon wie eine Telefonnummer herunterleiern konnte – bis sich tatsächlich Dollars zu verflüchtigen begannen. Aus bestimmten Transaktionen zog er den Schluss, dass Joni ihrem Inkassounternehmen Aufträge erteilte: Es schien sich um Rückerstattungen an Kunden zu handeln. Dass sie sich tatsächlich in Amerika aufhielt, sah er an Kreditkartenzahlungen, die in irgendeinem Sunnyvale Plaza getätigt worden waren, an Abbuchungen durch Border’s Bookstore, Trader Joe’s, Beträgen, die, was die Höhe anging, nicht besonders von denen abwichen, die er in Form von unzerknitterten Hundertern aus dem Automaten zog, um den Pizza-Express oder den chinesischen Essensboten zu bezahlen. Er wurde wahnsinnig vor Misstrauen. Hatte sie dort einen anderen? Eines Nachmittags rief er bei McKinsey Amsterdam an und ließ sich mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung zu Boudewijn Stol durchstellen. Als der das Gespräch tatsächlich annahm, legte er nach einem kurzen Schweigen auf.
Wie eine Qualle trieb er in der Zeit, still pulsierend, als wäre nicht nur Roombeek, sondern die ganze Welt explodiert und rotierte nur noch sein Wohnzimmer auf einer Umlaufbahn um die Sonne. Seiner Schlaflosigkeit ließ er freien Lauf, Tag und Nacht verloren ihre Bedeutung, sein Wachzustand ging allmählich über in einen unergründlichen Rhythmus kurzer Schlummerphasen. Er träumte intensiv. Sein gesamtes Essen bestellte er jetzt telefonisch, und jedes Mal prügelte ihn die Türklingel aus einer unruhigen Unterwelt. Hin und wieder war er seiner selbst überdrüssig, dann versuchte er, ein bisschen zu lesen, starrte auf den Fernseher oder hörte überlaut eine Jazz-LP, um erst wieder aus dem Schlaf zu fahren, wenn die Nadel in der Auslaufrille zum Stillstand kam.
Ging sein Telefon, was nur selten vorkam, dauerte es lange, bis der Schrecken aus seinem Körper gewichen war und er sich traute, die Mailbox abzuhören. Wann immer Leute vor seiner Haustür standen, Postboten, Spendensammler – ein einziges Mal war es sein Freund Thijmen, der klingelte –, kniete er sich vor dem Heizkörper hin und spähte unter den Vorhängen hindurch, um zu sehen, wer ihn bedrohte. Immerzu war da die Angst, es könnte Sigerius sein.
Eines Tages quoll seine Mailbox vor Anrufen von Blaauwbroek über. Der joviale Spott – ob sein Grill etwa immer noch an sei, dass er sich die Sonnencreme endlich aus den Ohren spülen solle, ob er schon wieder eine lange Hose anhabe –, es klang, als redete sein Chef in einer anderen Sprache. Er reagierte nicht darauf. Erst beim dritten Anruf («Bever, puste dir etwas Magnesium in den Arsch und komm in die Redaktion!») zwang er sich dazu, sich in Bewegung zu setzen. Vielleicht, erwog er, drehte sich die Welt ja einfach weiter. Er rasierte sich, zog die letzten sauberen Sachen an, die er finden konnte, und stieg aufs Fahrrad.
Ins überreichlich vorhandene Tageslicht blinzelnd, fuhr er um den Bauzaun herum in die Richtung vom Wald bei Drienerlo. Die grelle Sonne stach in seine Netzhaut, vorbeirasende Autos gellten ihm ins Gesicht. Sein Mund war staubtrocken. Noch immer übte der Campus eine magnetische Kraft auf ihn aus, aber die Polarität hatte sich umgekehrt. Es kam ihm so vor, als führe er bergauf, er musste die Zigarette wegwerfen, weil er wie ein Ertrinkender keuchte. Auf der Horstlindelaan, dem grünen Korridor zwischen Stadt und Universität, wurde er immer langsamer, schnappte nach Luft, und obwohl er fast auf der Stelle trat, war es, als würde er gesandstrahlt. Er hatte die Schallmauer erreicht. Laute Geräusche, Vögel, Blätter, Insekten,
Weitere Kostenlose Bücher