Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
hoch.
    «Nein», flüsterte er.
    «Aaron», sagte es mit einer Stimme aus weichem Plüsch. «Ganz ruhig. Ich bin’s.»

20
    Als er meinen Namen hörte, flitzten seine Augen wie Eishockeypucks hin und her, mit einem Ruck wandte er sich ab, heiser murmelnd, seine Schuhe traten in den Unrat wie die Hinterpfoten eines Hundes, der gerade losrannte. Er schien sich durch die Wand drücken zu wollen.
    «Du brauchst keine Angst zu haben», sagte ich mit dünner Stimme, und die Frage war, zu wem ich das sagte, zu ihm oder zu mir. Auf meiner ausgestreckten Hand ruhte das Geschenk, das ich am Flughafen Schiphol für ihn gekauft hatte, eine mit Zellophan und goldenen Bändern verpackte Riesenchristbaumkugel aus Fondantschokolade, gefüllt mit handgefertigten Brüsseler Pralinen, die ich aus einer Leonidas-Bonbonniere ausgesucht hatte – ein halbes Kilo vollkommene Deplaziertheit, das war mir inzwischen klargeworden. Es stank viel zu sehr in dem abgedunkelten Zimmer, um auch nur an Schokolade zu denken .
    Es saß da und drehte bebend den Kopf, bis er mich plötzlich ansah. So sehr erschreckte mich sein Blick – Augen wie funkensprühende Transformatorhäuschen –, dass ich die Christbaumkugel aus der Hand fallen ließ, sie landete mit einem hohlen Klacken auf etwas, das sich wie Karton anhörte. Aarons Reaktion war unglaublich: Kreischend schlug er sich die Arme vors Gesicht und kroch in sich zusammen, als säße zu seinen Füßen eine Vogelspinne oder sogar der Teufel persönlich. «Nimm das weg!», schrie er mit sich überschlagender Stimme. «Nimm das verflucht noch mal weg!»
    Das Einzige, was hier unbedingt wegmusste, war er selbst. Er musste zu einem Arzt, und zwar schnell.
    «Sitzen bleiben», sagte ich, «nicht weggehen.» In heller Panik stolperte ich rückwärts in die Diele, zerrte meinen Trolley durch fußknöchelhohen Müll hinter mir her ins Tageslicht. Nach Luft schnappend, stiefelte ich in den Schnee und zog die Haustür hinter mir zu, die ich erst vor wenigen Minuten selbst hatte öffnen müssen, weil sich auf mein wiederholtes Klingeln nichts geregt hatte. Hätte ich nicht durch die kaputte Fensterscheibe unbestimmtes Gemurmel vernommen, wäre ich davon ausgegangen, dass er unsere Verabredung vergessen hatte und bereits in Venlo war, um dort Weihnachten oder was auch immer zu verbringen. Im Nachhinein wurde mir klar, warum unser Telefongespräch zwei Wochen zuvor so seltsam gewesen war. Was ich für Verbitterung gehalten hatte – er war mir verstört und verärgert vorgekommen, als hätte ich ihn aus dem Schlaf geklingelt –, muss Verwirrung gewesen sein.
    Ich trat auf den Weg an seinem Haus und kramte mein Handy hervor. Ich rief Boudewijn Stol an, der mir schon seit Monaten Stütze und Hilfe war und mich, zu meiner Überraschung, in der Ankunftshalle des Flughafens erwartet hatte, weil er kurz sehen wollte, wem er da jeden Tag seine E-Mails schickte. Ich bat ihn, die Nummer des psychiatrischen Notdienstes herauszusuchen. «Soll ich zu dir kommen?», fragte er. «Willst du, dass ich mit nach Frankreich fahre? Und was hat Arend dazu gesagt?»
    «Wozu?»
    «Na, dazu natürlich.»
    «Nichts», sagte ich. «Er hat die ganze Zeit nur geschrien.»
    Unter der Nummer des psychiatrischen Notdienstes erreichte ich eine Frau mit einem mürrischen Twenter Akzent, die mir zu verstehen gab, dass sie Aaron nicht abholen würden, ich ihn aber in die Notaufnahme des Twentse Tulp bringen könne, eines psychiatrischen Krankenhauses am südlichen Rand von Enschede. Während des Gesprächs drang beunruhigendes Gebrüll aus dem Wohnzimmer zu mir. Ich ging ein Stück weiter auf dem eiskalten Weg und spähte zwischen zwei Nadelgehölzen hindurch zur Rückseite des Hauses. Außer den morschen Planken sah ich kaum etwas, das Glas der Küchentür war trüb von Fett. Plötzlich hatte ich es eilig und lief zurück, der Schnee war locker, aber gefährlich glatt, kurz vor dem Gartenweg rutschte ich beinahe aus. Ich watete erneut durch Schichten ungeöffneter Post und Altpapier und ging ins Wohnzimmer, tastete die Wand neben dem Türrahmen ab und schaltete die Lampe über dem Couchtisch an. Was im Halbdunkel nicht so richtig bis zu mir durchgedrungen war, zeigte sich mir nun umso deutlicher. Das Chaos war unvorstellbar. Den Teppichboden konnte man praktisch nicht mehr sehen, bis hin zur offenen Küche war der ganze Raum mit Abfall übersät. Kekspackungen, Chipstüten, Pullover, Pommes-frites-Schalen, Handtücher, zerknülltes

Weitere Kostenlose Bücher