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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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ein sterbender Stern über dem Bombenkrater, sporadisch und immer kürzer. Stehengelassene Bagger und Lkws zur Schuttentsorgung starrten, allmählich verrostend, verloren in Richtung Epizentrum. Die Kälte nahm zu. Kein Mensch traute sich auf die Straße, und dennoch überall ruheloses Rauschen: heftig schwankende Nadelgehölze, sich lösende Dachziegel, die Sekunden später wie Granaten zersprangen, der Wind trieb Plastiktüten und Zeitungen durch die Rinnsteine. Wochenlang hatten die lauwarmen Heizkörper in seinem Haus hohl geknackt, bis das Hammerklavier auf einmal schwieg, tot, kalt, und sein Gebiss das Klappern übernahm. Er hörte in halb zerstörten Häusern Türen schlagen.
    Das Feuer im Allesbrenner drohte ständig zu erlöschen, er saß auf Knien vor dem gusseisernen Schlund, die Gittertüren standen auf wie schwarze Krebsscheren, Dampf stieg von den zwei kupfernen Zierknäufen des Deckels auf. Regelmäßig fütterte er die Flammen mit Pappstreifen, die er von den Kartons um sich herum abriss. Zwischendurch blätterte er eilig in dem Buch, das er gerade hinrichtete, überflog die Seiten auf der Suche nach dem, was aufbewahrt werden musste. Aufgeschlagene Dünndruckbände, vor allem die brannten wie Torf, mindestens so lange wie Stuhlbeine und Regalbretter. Die unverzichtbaren Seiten riss er mit kurzen Bewegungen heraus, faltete sie doppelt und steckte sie, hustend und nach Atem schnappend, in alte Kontoauszugsumschläge.
    Der Pulverdampf war kaum auszuhalten. Seine Augen brannten, schwarzer Feinstaub griff seine Luftröhre an. Schon vor Monaten hatte er es zum ersten Mal in der Nase gehabt, einen unbestimmten Dunst, der ihn an seine früheste Jugend erinnerte, den Geruch, der sich ausbreitete, wenn man Knallbonbons zur Explosion brachte oder mit einer Knallplättchenpistole herumballerte, einen Geruch, der nach und nach zum Gestank geworden war – seit es fror, hingen die Schwaden oft sichtbar in seinem Zimmer, die Schwefelmoleküle quollen zwischen den Planken vor seinem Fenster hindurch nach drinnen; stechende, schwere Schwaden, die von allen Zimmern Besitz ergriffen.
    Das ängstigte ihn. Von einem Moment auf den anderen konnte er in Panik geraten, weil er keine Luft mehr bekam. Manchmal wachte er mit ausgetrockneter Kehle auf, den Mund aufgesperrt wie ein Kaffeefilter voller Schießpulver. Nur ganz selten vergaß er den Gestank, so tief drang er in seine Lungen ein, in seine Kleidung, in sein Bewusstsein , er roch dann höchstens noch einzelne Bestandteile, Holzkohle, Schwefel, Salpeter, und schließlich überhaupt nichts mehr, war es weg? Momente, in denen seine Todesangst abnahm: Wenn er nichts roch, war er ruhig. Im Krater war alles schlimmer, er traute sich nicht mehr dorthin, ungesund war es dort, außerdem bitterkalt, selbst wenn er drei Schichten übereinander trug – Unterwäsche, Schlafanzug, einen Pullover, Sigerius’ Anzug, die Judojacke, eine gefütterte Gaastra-Jacke, Skistrümpfe, Wanderschuhe, Handschuhe mit Fäustlingen darüber –, selbst dann fror er sich einen ab.
    Also blieb er am Ofen hocken, obwohl offenes Feuer eine Gefahr darstellte, er wusste das: Wurde die Salpeterkonzentration zu groß, flog die ganze Straße doch noch in die Luft. Manchmal sehnte er sich danach, einen einzigen vernichtenden Knall, der allem ein Ende bereitete, trotzdem hielt er die Wärmequelle so beherrschbar wie möglich, klein, kompakt, und er achtete auf den Feuermelder, den die Stadtverwaltung installiert hatte. Jedes Mal wenn er losging – ein schrilles, elektronischen Heulen, bei dem er sich immer wieder zu Tode erschreckte –, sprang er auf, lief stolpernd und ausrutschend in die Küche, füllte eine Bratpfanne mit Wasser und kippte sie über den Flammen aus.
     
    Es war ein Telefon. Ein ganz normales Telefon. Sein Telefon? Alarmiert, wenn auch mühsam erhob er sich von der Couch, auf der er sich eingegraben hatte, und watete zur Sirene im hinteren Zimmer. Mit angehaltenem Atem betrachtete er den Vorhang. Was sollte das? Das Kunststoffgerät dahinter war ein potenzieller Eindringling, er musste es nur in die Hand nehmen, und es würde was verändern. Etwas von außen würde ins Innere dringen. Die Frau aus Limburg, die ihn vor einiger Zeit aushorchen wollte? Er grabbelte hinter dem Vorhang herum und nahm das Gerät auf. Tief im Kunststoff wimmelten Elektronen.
    «Hallo», sagte eine Stimme. Er wartete ab, gespannt lauschend. «Aaron? Ich bin’s, Joni. Ich rufe aus Amerika an.»
    Es war ein

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